Sozialpädagogik meets Schulpädagogik
Wir, das IfpB, sind eine professionelle Lerngemeinschaft von Pädagogik-Treibenden aus verschiedenen Sparten. Bei unserer Teamarbeit gucken wir dabei gerne mal in den Kochtopf der anderen. Spannend! Ich arbeite, als gelernte Lehrkraft und Organisationsentwickler, im Sektor der Schulpädagogik. Ein Kollege beackert das Feld der Schulpädagogik. Als Technik-Support unterstütze ich ihn bei der digitalen Durchführung einer Konferenz von Lehrenden der Sozialpädagogik.
Das Hauptreferat hält Dietrich Benner. Herrn Benner kenne ich schon seit Studientagen und aus Vorhaben der Schulentwicklung im Lande. Ich schätze ihn total, diesen redegewandten und absolut freundlichen älteren Herrn. So wie er möchte ich auch mal werden, wenn ich alt bin. Er hat sich sehr verdient gemacht durch sein Engagement für die echte Integration von Schul- und von Sozialpädagogik-Kräften im schulischen Alltag. Das Modellprojekt dazu war die Wartburg-Grundschule in Münster, vor einem Jahrzehnt Trägerin des deutschen Schulpreises.
In meiner Praxis erlebe ich, wie in der Realität der Schulen Kolleg*innen das Zusammenwirken bei der Gestaltung eines vielfaltsgerechten Lernangebots gelingt. Verschiedene Professionen bringen mit ihrer spezifischen Perspektive Vielfalt ins gemeinsame Handeln: Lehrkräfte gucken vor allem auf das Erreichen der fachlichen Kompetenzziele, Sozialpädagog*innen auf die Stiftung guter sozialer Kohärenz der Lerngruppen, Förderpädagog*innen achten darauf, dass alle Lernenden gut in den kooperativen Lernprozess inkludiert sind. Gemeinsam überlegen sie, was zu tun ist. Ich, als Berater, achte, wie es mich Benner als Herausforderung der Pädagogen-Rolle gelehrt hat, auf die Interaktion der in der Lerngruppe aktiven Kräfte. Arbeiten sie effizient zusammen?
Über die definitorische Unterscheidung zwischen den Teilsparten der Pädagogik habe ich schon seit Jahren nicht mehr nachgedacht. Für mich sind deren Vertreter*innen schlicht Teampartner*innen. Aus welchem Stall jemand kommt, merke ich in der Regel nach einiger Zeit – vor allem, wenn es nicht gut klappt. Das kommt – selbst am Leuchtturm Wartburgschule – gar nicht so selten vor. Statt zu kooperieren, dividieren sich die das Lernen begleitenden Personen auseinander. Wozu bloß?
Als Benner-Schüler mit dem praktischen Erleben dieser Konfliktlage an Schulen lausche ich also dem digitalen Disput der Gesichter auf den Zoom-Kacheln. Vor dem offiziellen Start – die Technik macht Mucken – tauschen sich die Beteiligten über ihre schlechten Erfahrungen in den Zeiten digitaler Lehre an Hochschule und Fachhochschule aus. Das Vermissen der gefühlten Nähe der Lehrenden zu den Studierenden ist groß. Digital geht das nicht – gut, wenn der Wahnsinn vorbei ist. So der Tenor.
Ich wundere mich. In der Lehre sind doch lauter Expert*innen für die sozialpädagogische Gestaltung von Prozessen tätig. Diese Menschen müssten doch als Pioniere herausfinden, wie sich bei digitaler Kommunikation Harmonie und Nähe herstellen lässt. In der Lehre an der Hochschule entsteht Beziehung doch nicht durch physischen Kontakt, sondern durch den Flow des gemeinsamen Arbeitens und Lernens. Das geht digital sicherlich etwas anders, aber doch nicht schlechter als live! Ist es da nicht Kernanliegen jeder der Sozialpädagogik verpflichteten Lehrperson, theoretisch und praktisch herauszufinden, wie sich die Dynamik und die Kooperativität von Lerngruppen auch bei Nutzung von digitalen Werkzeugen der Kommunikation wecken lässt?
Herr Benner hält einen wunderbaren Vortrag. Er arbeitet die Notwendigkeit der professionellen Kooperation der Spielarten der Pädagogik bei der Entwicklung der partizipativen Kernkompetenzen der heranwachsenden Mitglieder der demokratischen Gesellschaft heraus. Sein Anliegen ist, die spezifischen Sichtweisen bei der Gestaltung einer bildenden Schule praktisch zu verknüpfen, also die Verschiedenheit der Perspektiven zur Quelle erfolgreichen gemeinsamen Handelns zu machen!
Ich bin sowieso restlos überzeugt, dass die Benner‘sche Erziehungsphilosophie trägt. Ich mache mir ein paar Notizen, schweife gedanklich ab, gucke mir die Personen auf den Kacheln an, die hingebungsvoll und aufmerksam lauschen. Dichter könnte die Atmosphäre auch bei einem Live-Vortrag kaum sein. Woher kommt die Digital-Aversion der Hochschul-Lehrenden? Haben die vielleicht noch gar nicht digitale Sozial-Formate wie digitales Frühstück zweier Paare, digitales Kaffeetrinken mit Kindern und Großeltern oder digitales Besäufnis mit drei guten Freunden quer durch die Republik ausprobiert? Wo bleibt dann da die sozialpädagogische Phantasie?
Dann kommt es zur Diskussion, so wie ich sie aus den akademischen Kreisen von früher kenne. Jeder bedankt sich respektvoll für die vielen schlauen Gedanken und formuliert zu einem Teilaspekt eine Gegenposition. Nach einer Stunde Online-Debatte steht der gedanklichen Figur des Referierenden eine Phalanx von Einzel-Einwendungen gegenüber. Jeder einzelne Gedankenstrang wäre eine vertiefte Betrachtung wert. Und trotzdem setzt sich bei mir der Eindruck fest, es erscheine den Teilnehmenden wichtiger, Differenzen zu artikulieren als die Frage zu erörtern, was die Sozialpädagogik selbst ändern müsste, damit die von Benner propagierte integrierte Praxis in den Schulen und Bildungseinrichtungen in Gang kommt oder besser läuft.
Später gerät die Diskussion Sozialpädagogik meets Schulpädagogik dann doch in ein konstruktives Fahrwasser. Die kognitiv-pädagogische, aber weniger sozialpädagogische Strukturierung des Veranstaltenden-Teams wirkt. Beim Feedback am Ende konstatieren diejenigen, die sich zu Wort melden, erfreut ein erstaunlich fruchtbares und angenehmes Klima. Das verlangt nach Wiederholung! Live wären so viele Personen wohl auch gar nicht zusammengekommen – aus dem gesamten deutschen Sprachraum. Es geht also doch, digital diskursiv und gleichzeitig fruchtbar zu arbeiten. Vielleicht kann man sogar digital streiten, ohne dass die Harmonie der Gruppe darunter leidet? Verschiedene Perspektiven wertschätzend in passenden Arbeitsformen zu verknüpfen? Wie machen wir das? Herr Benner, ist das eine Herausforderung, mit der Schulpädagogik die Sozialpädagogik gewinnen sollte?