25 Aug

Guter Rat zum Schuljahresbeginn?

In dieser Woche fängt in Niedersachsen der Schulbetrieb wieder an. Begleitet von den üblichen Lamentos packen 875000 Schüler*innen – 15000 davon aus der Ukraine – ihre Taschen, 1620 neue Lehrer*innen schauen gespannt auf das ebenso neue Schuljahr. Besonders stark ist der Zuwachs in den Grundschulen: 84000, etwa 6000 mehr als im Vorjahr, gehen am Samstag mit ihrer mit Erwartungen vollstopften Tüte los.

So viel Anfang! Da möchten wir allen zurufen: „Geht aufeinander zu, habt Mut, seid fröhlich!“ Keine Masken, wenig Tests, viel persönlicher Kontakt! Das wollten wir doch, das hat uns Corona gezeigt, wie wichtig die Sozialkontakte unter allen Beteiligten sind.

Die üblichen Baustellen: Filter hier, CO2– Ampeln dort, Lehrermangel, Defizite im Digitalen, im baulichen und überhaupt…Und trotzdem: Schule lebt von den Menschen, die sie gestalten und die brauchen Zuspruch, Ermutigung und Lob für ihre Tapferkeit!

Da meldet sich pünktlich zu Schulbeginn am 22.8.22 einer im Focus mit einem Patentrezept: „Wenn wir zwei Dinge ändern, wird die Schule ein besserer Ort!“ Für alle! Wow! Das wollen wir haben!

Wir lesen nach: Kein Kind darf die Freude am Lernen verlieren. Gut, das ist bekannt und Tausende von Schulen arbeiten täglich daran. Bekannt sind aber auch die Schwierigkeiten, in einem formellen System Lernformen zu etablieren, die immer so funktionieren. Das tägliche Bemühen um motivierende Formate mit viel Selbsttätigkeit der Schüler*innen ist Kerngeschäft innovativer Schulen. Wir kennen viele davon. Das ist jetzt grad so als würde man einem Konditor den wohlmeinenden Rat geben: Den Kuchen bloß nicht anbrennen lassen!

Die beiden „Gamechanger“, die alles zum Besseren wenden, sollen sein: 1. Schulen sollten keine Selektionsaufgaben übernehmen müssen 2. Die Prüfungen sollten nicht von den Lehrer*innen übernommen werden. Wir sind verblüfft. Es gibt ausgelagerte Prüfungsformate (Abschlussprüfungen), es gibt viele Schulen ohne Noten. Was soll da nun die große Veränderung zum Besseren sein?

Dann kommt der Leser rein zufällig an die Stelle, wo das neue Buch des Autors beworben wird: „Rettet das Spiel! Weil Leben mehr als Funktionieren ist“ von Gerald Hüther. Beworben wird es mit dem Hinweis, dass das, was Schiller einst dachte, von der Neurowissenschaft heute bestätigt wird. Sieh an! Praktischer Weise ist der Amazon-Kaufknopf schon in den Online-Artikel integriert.

Das Verfahren kommt uns bekannt vor. Am 15.5.2020 (aktualisiert am 14.09.2021) titelt der Focus: „Star-Hirnforscher: ‚Die Schule, wie wir sie heute kennen, hat ausgedient‘.“ Abgesehen von der Beförderung vom Neurobiologen zum „Star-Hirnforscher“, später zu „einem der führenden Hirn- und Lernforscher“ finden wir hier die übliche Argumentation Hüthers aus dem Nähkäschen der Lernpsychologie, jeweils untermalt durch Begriffsrasseln aus der Neurobiologie. Und rein zufällig wieder die Werbung für sein neues Buch, das wir schon besprochen haben (s.u.: Pädagogischer Populismus, S. 35 – 42), wohl eingebettet in den Text.

Jetzt wollen wir das auch mal haben! Einen rein zufälligen Hinweis auf unser Buch, das sich mit Gerald Hüther und einigen anderen pädagogischen Populisten beschäftigt. Nicht mit Amazon-Knopf, aber mit Hinweis auf den Beltz-Verlag: Robert Wunsch, Irmgard Monecke, Pädagogischer Populismus, Weinheim Basel, Beltz Juventa 2022.

Fragen, die bleiben: Was muss man tun (oder lassen) um im Focus derart prominent beworben zu werden? Wem nützt das? Wem schadet das? Wir hätten da schon ein paar Ideen…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert