26 Feb

Homeschooling bei der Blumenfee

Unsere Beraterin geht heute Blumenkaufen (in Niedersachsen geht das wieder). Zur Grundschule gegenüber bringen wenige Eltern ihre Kinder, fahren schnell weiter, winken hektisch. Notbetreuung. Die Schulen machen das und zum Teil Wechselunterricht, hauptsächlich aber ist Homeschooling angesagt. Die Beraterin denkt an die Mutter, die vor vielen Jahren ihr Kind sozusagen „under cover“ an einer Ganztagsschule anmeldet. Sie fürchtete das Gerede der Nachbarn, will aber wieder berufstätig sein . Das ist ja wohl nicht mehr so. Aber: Was machen im Moment alle die berufstätigen Frauen und Männer, die ihr Kind den ganzen Tag zu Hause haben? Die Hauptlast tragen wieder die Frauen, hört die Beraterin einen Politiker reden und denkt etwas zynisch: Die sind gerade von den Nachhilfelehrerinnen der Nation zu Haupt-Lehrerinnen aufgestiegen. Und sind abhängig davon, wie die Schulen ihren Job machen. Ob sie die Kinder anleiten, sich gegenseitig zu helfen, ob die Schüler*innen Feedback von ihren Lehrpersonen bekommen, der soziale Zusammenhalt gepflegt wird.Ach, auf uns hört ja grad wieder keiner, denkt die Beraterin etwas resigniert und selbstironisch.

Heute schaut die Blumenfee etwas verknittert. Sie könnte eigentlich fröhlicher gucken, denn Blumenbinden geht ja wieder und sie hat einen kreativen Beruf, wenn auch nicht gerade einen hochbezahlten und hochangesehenen.

Und warum wirkt sie heute ein bisschen unfroh? Homeschooling! sagt sie und seufzt. Ihre beiden Jungen gehen in die 4. (Grundschule) und die 5. Klasse (Gymnasium). Die Beraterin denkt an den Wahnsinn, der mit den Viertklässlern veranstaltet wird: Verteilung auf verschiedene Schulformen mit 10. Die hatten ja kaum Unterricht und wie soll da eine vernünftige Schulformempfehlung entstehen? klagt sie. Heraus hört man die Sorge um die Zukunft ihres Kindes, das ja mal mehr verdienen soll als eine Floristin. Die Beraterin erzählt ihr besser erst gar nicht, dass sie die Sortiererei von kleinen Menschen für völligen Blödsinn hält, denn die Blumenfee sitzt ja schon akut in der Falle.

Wir haben viel Stress zu Hause, ein paarmal haben wir schon gemeinsam geweint, weil wir einfach nicht weiter wussten, sagt sie traurig. Der Große bekommt Aufgaben, die er gar nicht lösen kann. Zum Beispiel, erzählt sie, sollte er gleich zu Beginn einen englischen Text über sich selber schreiben. Konnte er doch noch gar nicht. Er war so verzweifelt und seine Mutter, die nun beschämt zugibt, ihr Englisch sei nicht gerade das Beste, hat so lange englische Sätze gegoogelt, für das Kind aufgeschrieben und das Kind…Mir wird ganz anders. Wer sind denn wohl die Gewinner einer solchen Situation? Wer die Verlierer?

Wir zoffen uns wegen Vokabeln, klagt sie weiter. Er will einfach keine Vokabeln lernen und da lässt er sich auch nichts von seiner Mutter sagen.

Die Beraterin versucht sie zu trösten, das sei auch nicht ihre Rolle, sie solle die Klassenkameraden, die Lehrperson aktivieren, Hilfe anfordern. Die Blumenfee braucht Rat, damit nicht die Beziehung zu ihren Kindern leidet.

Im Rücken der Beraterin stecken inzwischen schon ein paar Messer aus der Schlange der hinter ihr Wartenden. Sie wollen Blumen – und zwar zack. Hilft nur wiederzukommen. Auf die Frage, ob ihre Geschichte aufgeschrieben werden darf, sagt sie: ja, aber keine Namen!

Auf dem Rückweg merkt die Beraterin, wie sie wütend wird. Diese Frau wie so viele andere macht ihre fast ausweglose Situation nicht öffentlich, sie versucht mit Bordmitteln und viel Nerven insgeheim zu lösen, was Schulen jetzt versaubeuteln. Mütter: Die Lehrerinnen der Nation. Das sagt sich so leicht und lebt sich so schwer.

Und dann wird die Wut noch viel größer bei dem Gedanken, dass sich in dieser Angelegenheit in den letzten 50 Jahren fast nichts getan hat. Lehrerzentriertheit, Wechselstress beim Aussortieren auf 3, zunehmend 2 Schulformen, dazu noch zum biographisch völlig falschen Zeitpunkt.

Die Beraterin denkt an den 25 Jahre zurückliegenden peinlichen Auftritt eines Assistent Teachers in der Landesschulbehörde, dem plötzlich klar wird, dass in Deutschland, wie er entgeistert feststellt, „immer noch das Aufteilen von arme kleine Würstchen“ praktiziert wird. Silbernes Jubiläum für diese Bemerkung, denkt die Beraterin. Es ist wahr, dass die meisten immer noch aufgeteilt werden – und dieser Ausfall des jungen Lehrerstudenten, der damals bei den Anwesenden sehr schlecht ankam … das wäre wohl immer noch so.

Und dieser arme kleine gymnasiale Fünftklässler, der keine im Homeschooling gewieften Akademikereltern hat? Keine vernünftige Helferstruktur, die ihn umgibt? Warum zum Teufel bewegt sich unser Schulsystem so wenig in Richtung Chancengleichheit!? Vielleicht weil immer noch zu viele mit der Verteidigung ihrer Privilegien beschäftigt sind? Nicht aus Böswilligkeit, sondern weil das System es so anbietet?

Die Beraterin ich braucht in nächster Zeit viele Blumen…

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