Jetzt ist’s raus…
… unsere Auseinandersetzung mit pauschaler Schulkritik am Beispiel von R. D. Precht (Philosoph), M. Winterhoff (Kinder- und Jugendpsychiater), G. Hüther (Hirnforscher) und M. Hüter (Kindheitsforscher). Als Pädagogischen Populismus bezeichnen wir medial gehypte reißerische Kritik, die glaubt den Bereich erzieherischen Handelns aus anderen Professionen beurteilen zu können. Dass es hier die Institution Schule und die dort Tätigen besonders häufig trifft, hat eine eigene Geschichte der öffentlichen Wahrnehmung – aber auch, wie wir darlegen, Ursachen in der pädagogischen Tradition selbst.
Das Beispiel Winterhoff hat eindrucksvoll gezeigt, dass fundamentale Schulkritik aus anderen Professionen ungeheuer populär aufgenommen wird, wenn sie radikal und einfach genug ist – und wohl eben auch ein gesellschaftliches Bedürfnis bedient.
Die seit Sommer 2021 laufende Diskussion um seine kinderpsychiatrische Tätigkeit (s. Blogeinträge vom 13.8.21 und 20.11.21) hat sein letztes Buch von 2019 „Deutschland verdummt. Wie das Bildungssystem die Zukunft unserer Kinder verbaut“ in der Wahrnehmung etwas zurückgedrängt. Der Mechanismus jedoch und die Brisanz, vor der wir warnen möchten, sind dieselben:
Die vielfach zugespitzte öffentliche Rhetorik steht in einer Tradition der „aufrüttelnden“ Medien, die Kritikern wie Winterhoff Zugang zu allen populären Formaten eröffnen und so viel Raum geben, dass die durchaus auch vorhandene kritische Auseinandersetzung mit seinen Positionen gar keine Chance auf öffentliche Wahrnehmung hatte.
Die leise Zerknirschung zu Beginn des WDR-Beitrages („Warum Kinder keine Tyrannen sind“, WDR 11.8.21): „Und wir Medien haben ihn groß gemacht!“ weist auf einen engen Zusammenhang zwischen populärer Pädagogik und Funktionieren unserer Medien hin. Schädlich wirkt diese erst, wenn sie Sensationslust und einfache Emotionen durch massenhafte Verbreitung bedient, oft garniert mit medial inszenierter Gefallsucht der Beteiligten. Daraus entsteht regelmäßig eine Polarisierung, die eine sachgerechte Diskussion verhindert.
Schade! Eine Auseinandersetzung über das deutsche Schulsystem ohne Ideologisierung und Polarisierung ist nämlich überfällig, und zwar vor dem Hintergrund der Frage, was für unsere Schüler*innen gut sein kann und besser werden muss!
In einem Kollegium, das mit uns zur Bedeutung von mehr Eigenverantwortung und Selbstbestimmung der Lernenden arbeitete, legte eine Teilgruppe demonstrativ den – in dicken roten Lettern gesetzten- Titel „Deutschland verdummt“ (Winterhoff) auf den Tisch. Offensichtlich finden seine vereinfachenden Aussagen bei einigen Lehrer*innen Akzeptanz. Uns ist klar: Die dort vertretene These, individuelles Lernen sei „eine einzige Mogelpackung“ (M.W., S. 38), wird die Arbeit der inneren Schulentwicklung hier nicht sonderlich befördern.
Was tun? Wir stellen die Mechanismen und Abläufe an einigen Beispielen dar, denken über Traditionen der Verachtung in der Pädagogik nach und machen – auch ganz pragmatisch – Vorschläge für einen anderen Umgang mit dem Phänomen Pädagogischer Populismus.
Alle pädagogisch Tätigen brauchen Antworten der Erziehungswissenschaft auf die populistischen Vereinfacher, aber das allein genügt noch nicht einmal. Wir müssen Medienschaffende gewinnen, die nicht nur polarisierende „Aufreger“ propagieren, sondern auch differenzierende Antworten verbreiten. Das wird schwer, denn es widerspricht den Selbst-Vermarktungsstrategien vieler medialer Akteure und Angebote. Gleichzeitig gibt es aber auch einen gesellschaftlichen Auftrag zur Information und Aufklärung, der von einigen Fachjournalisten durchaus ernsthaft wahrgenommen wird, aber im Vergleich zu den Pädagogischen Populisten wenig Reichweite erzielt.
Ein Dilemma? Ja schon! Aber wir skizzieren einige Vorschläge, wie durch geduldige fachkundige, gleichwohl populär formulierte Antworten die fruchtlose Polarisierung aufgebrochen werden könnte. Auf einer solchen pragmatischen Ebene könnte die Debatte weitergehen!
Robert Wunsch / Irmgard Monecke
Pädagogischer Populismus
€ 16,95; ISBN 978-3-7799-6869-6