05 Jan.

Nachrichtendschungel braucht Nachrichtenkompetenz

Bali

Komplexe Gedanken zu einer komplexen Fähigkeit: Nachrichtenkompetenz!
„Wir brauchen, schon in der Schule, die Vermittlung von Nachrichtenkompetenz. Wir sind Staatsbürger einer redaktionellen Gesellschaft, die sich kompetent durch einen Dschungel von Informationen und Desinformationen manövrieren müssen.“ So spricht Claus Kleber, scheidender Moderator des „heute-journal“, im Interview mit der ZEIT vom Jahreswechsel . Artikel: – Ideologie vergiftet den Journalismus.

Das Schuljahr beginnt nicht im Januar, sondern im Sommer. Doch der Jahreswechsel ist der Moment guter Vorsätze. Claus Kleber, der scheidende „heute-journal“-Moderator, will mehr in Schulen gehen, um zur Entwicklung von Nachrichtenkompetenz beizutragen. Das Ziel teilen wir vom IfpB voll und ganz, doch sind wir – ehrlich gesagt – immer ein bisschen skeptisch, wenn Berühmtheiten von außen in Schulen kommen und da Gutes tun wollen. Nicht immer wird da gut gedacht auch zu gut gelungen.

Nachrichtenkompetenz? Ein spannender Begriff. Was ist gemeint? Verfolgt die Schule von heute die Ausbildung von Nachrichtenkompetenz? Wird die Forderung, Nachrichtenkompetenz zu vermitteln, schulisches Lernen etwa auf den Kopf stellen? Denken wir mal genauer drüber nach:

Eine Kompetenz ist, so lehrt der Psychologe WEINERT, ein Bündel von Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Lösung von Problemen, verbunden mit der Bereitschaft, im Ernstfall davon Gebrauch zu machen. Bildungsziel des Lernens ist Problemlösebereitschaft und Problemlösefähigkeit. Wer lernen gestalten will, tut gut daran, genau zu bestimmen, welches Problem jeweils gelöst werden soll.

Die Herausforderung, um die es geht, beschreibt Herr Kleber anschaulich: Sich selbst im Dickicht von Informationen und Desinformationen bewegen zu können. Nicht die Fähigkeit zum Manövrieren ist das Ziel, sondern das Mittel zur Erreichung des Ziels. Das Könnensziel von Lernenden, die Kompetenz anstreben, ist die Bearbeitung einer problemhaften Sachsituationen durch gezieltes Agieren, so dass eine gute Auflösung der Problematik gelingt. Eine kompetente Person ist in der Lage, das zur Auflösung der Problematik relevante Wissen durch gezieltes Handeln aktiv werden zu lassen. Das Wissen steckt – für den Journalisten – in den Nachrichten. Wegen deren oft verwirrender Vielfalt sehen viele Dinge für viele Menschen sehr unterschiedlich aus. Jede*r muss das für die Problemlösung handlungsleitende Wissen aus den Nachrichten selbst herausdestillieren, damit Problemlösen gelingt.

Nachrichtenkompetenz ist also eine ziemlich komplexe Fähigkeit. Sie beginnt mit dem Geschick, aus der Vielzahl von Nachrichten, die in der medialisierten Welt zur Verfügung stehen, die Qualität des jeweiligs in ihnen erkennbaren Wissens zu rekonstruieren und auf die Verwendbarkeit zur Lösung des Sachproblems hin zu beurteilen. Das ist schon mal ziemlich schwer und gelingt durchaus nicht immer.

Was steht uns für diese Operation zur Verfügung?

1. Erfahrungswissen, das ist allerdings stark kontextbezogen – verliert also seine Gültigkeit, wenn sich die Kontextbedingungen ändern.

 2. Empirisch gewonnenes Wissen, das gilt als intersubjektiv auf der Grundlage seines definierten Bedingungsgefüges – verliert also seine Gültigkeit, wenn die Bedingungen nicht mehr gelten.

3. Gedanklich erzeugtes Wissen, es löst sich von den raum-zeitlichen Daseinsbedingungen und erzeugt sich nach formalen Regeln – entzieht sich also dem Erkennen von Konstruktionsfehlern durch Falsifikation an der Wirklichkeit.

Wer in diesem Feld beim Lösen von Problemen erfolgreich navigieren und manövrieren kann, verdient zu Recht das personale Attribut, kompetent zu sein.

Leider leistet die klassische Schule, nennen wir diesen Teil ruhig mal Befähigung durch Belehrung, dazu kaum einen konstruktiven Beitrag. Wissenserwerb wird dort in der Regel als Wirkung von Wissensvermittlung umgesetzt, nicht als Wissensaufbau aus vielfältigen Nachrichten-Quellen. Lehrbücher erläutern fachliches Wissen in Form von Erklärtexten, die unter dem Aspekt der leichten Nachvollziehbarkeit verfasst sind. Lehrpersonen vermitteln Wissen oft fragend-entwickelnd, also aus der Position von Wissenden heraus, die Unwissende an dieses heranführen.

Selbst naturwissenschaftliche Experimente haben in der Schule einen ganz anderen Stellenwert als in der Forschung – was in der Wissenschaft als Mittel der Bestätigung oder Falsifizierung von Theorien dient, ist im Schulunterricht eher die Veranschaulichung der jeweiligen naturwissenschaftlichen Erkenntnis und wird nicht selten als Beweis der Richtigkeit der Theorie missbraucht. Dieser Part von Schule mag seine Berechtigung haben, Nachrichtenkompetenz entsteht so allerdings nicht.

Viel zu selten erleben Schüler*innen, dass aus den wohlberechtigten Meinungen der Einzelnen das für die Lösung des betrachteten Problems relevante Wissen organisiert wird.

Die Schule der Belehrung, die im Kontext von Praxisanleitung beim Handeln in realen Situationen ihre Stärke hat, entfaltet beim Aufbau von wissensgestütztem kompetenten Handeln dramatische Nebenwirkungen. Claus Kleber fällt auf, dass die Fähigkeit, im Nachrichtendschungel kompetent zu manövrieren oft wenig entwickelt ist, dass unserer Schüler*innen nicht ausreichend schlau mit der Datenflut umgehen können, kurz er macht sich Sorgen um das Funktionieren unserer Demokratie. Deswegen wird er sich vermehrt bei „Journalismus macht Schule“ engagieren.

Gegengesteuert hat er schon lange durch manchmal geradezu inquisitorisches Politikern auf den Zahn fühlen, um der Öffentlichkeit sichtbar zu machen, welches Denken diese Personen leitet. „Ich will wissen, was Du denkst!“, ist das journalistische Leitmotiv – nicht etwa, um es selbst zu bewerten, sondern um die Sichtweise dem öffentlichen Diskurs zugänglich zu machen.

Dieses Leitmotiv könnte doch in Schule, in heterogenen Lerngruppen eine grundlegende Haltung der Lehrenden sein: „Zeige Deine Gedanken der Lerngruppe, lass die anderen an Deinem Denken teilhaben und nimm am Denken der Mitlernenden teil! Mit dem Ziel, in der Vielfalt der Gedanken die Denkfigur herauszudestillieren, die zur Lösung des jeweiligen Sachproblems, um das es geht, bestmöglich beiträgt!“ Die Wissensbasis der Beteiligten wächst in solchen Diskursen. Schön ist, wenn die Lerngruppe dabei gelegentlich auch Expertenpersonen zur Verfügung hat – nicht nur ihre Lehrpersonen –, die aus ihrer Sicht beisteuern, wie ihre Wissensbasis konstruiert ist. Wenn dabei sogar noch jemand zur Verfügung steht, der kompetent Teilhabe gibt, die handlungsrelevanten Wissenselemente aus Nachrichten herauszudestillieren, so können dabei alle Beteiligten nur gewinnen.

Also Herr Kleber: Herzlich willkommen in der Schulwelt von heute! 2022 kann beginnen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert