Wertschätzen – ohne Anpacken!
Ni hao (gesprochen niha = du gut!? Die Hände aufs Herz und leicht vorbeugen) So begrüßen die Chinesen sich. Was wir unseren Schüler*innen bei Beginn von Lockdown Nr. 2 unbedingt beibringen müssen.
Heute sind wir sehr nachdenklich. Wir fragen uns: Haben wir da etwas versäumt? Wie können wir unseren Schüler*innen zeigen, dass Achtsamkeit jetzt anders geht? Dass wir den Zusammenhalt einer Gruppe jetzt nicht durch körperliche Nähe, sondern freundliche Worte und Gesten ausdrücken müssen? Hier der Fall:
Am Mittwoch verbreitete sich die Meldung vom neuen Lockdown als Folge des Explodierens der Corona-Infektionen. Am Donnerstag trafen sich Lehrkräfte einer Gesamtschule im Ruhrgebiet in ihrer Workshopgruppe zur Gestaltung der digitalen Inklusion (vgl. Blog vom 10.10.2020) an der Schule.
Eine Kollegin berichtete: „Wir haben die Maskenpflicht beibehalten, als das Ministerium sie vor ein paar Wochen im Unterricht aufgehoben hat. In der Schule sind die Kids auch wirklich brav und halten sich an die Regelungen, auch wenn es ihnen schwer fällt. Aber nach Unterrichtsschluss stehen die Oberstufen-Schüler wie eh und je auf dem Weg hinter dem Schulgelände und pflegen ihre Sozialkontakte ohne Distanz, über die Hälfte ohne Maske und Vorsicht. Sogar Schüler*innen, die mir gerade noch erklärt haben, sie wollten keinesfalls schuld sein, wenn sich ihre Oma ansteckt, stürzen sich mitten ins Getümmel. Was sollen wir da machen?“
Gute Frage! Pädagogik der Gegenwart heißt unser Anspruch! Hier ist der Berater gefordert! Im Rahmen des kollegialen Workshops zur digitalen Inklusion!
Auch die Kids an unseren Gesamtschulen im Ruhrgebiet begreifen: Die Lage ist ernst, jeder ist persönlich gefordert. Zwar hat, aus dem Blickwinkel der systemischen Pädagogik, die Politik zu wenig klargemacht, dass bei dem – nun eingetretenen – erneuten Hochschnellen der Infektionszahlen auch erneut ein Lockdown unausweichlich ist. Das ist jetzt passiert! Alle Einrichtungen, von der Schule bis zur Kneipe, haben in die Vermeidung von Infektionen viel Geld und Mühe investiert. Also erscheint es total ungerecht, wenn systemrelevante Einrichtungen weitermachen dürfen, Kultur, Freizeit und Sozialleben aber heruntergefahren werden.
Es wäre fatal, moralisierend über die Kids zu urteilen, die jenseits der Grenze des Schulgeländes die Köpfe zusammenstrecken und sich austauschen – verbal, interaktiv, viral. Ihnen fehlt derzeit die Fähigkeit, ihre vitalen Bedürfnisse hygienesicher auszuleben. Sie brauchen neue Formen inklusiver Interaktion im Zeitalter der personalen Distanz. Hier hilft zwar keine Digitalität, doch es geht genau um das Problem der Inklusion, mit dem sich der Workshop befasst: Ohne Nähe fühlen sich die Kids nicht inkludiert. Wer Distanz hält und Maske trägt, fühlt sich ausgegrenzt und ausgeschlossen. Das ist schrecklich, denn das tut in der Seele weh.
Die Antwort der systemischen Pädagogik auf Probleme ist: Lernen! Wir lernen jetzt, Gemeinschaft zu fühlen, zu erleben, zu genießen, die ohne direkten körperlichen Kontakt stattfindet. Wir müssen es lernen, und darum lernen wir es jetzt. Das verlangt die Re-Konstruktion des individuellen Bedürfnisses von Körperkontakt beim Erleben von gruppenbezogenen Intimität. Es geht hier ja nicht um Primärkontakte, um körperliche Liebe oder Pflege, nicht um Sex. Sondern es geht um in der Vergangenheit erlernte Sozialformen. Unsere typischen Interaktionsmuster der Jugend von heute ist ein Kulturprodukt. Das sieht man daran, dass andere Zeiten, andere Länder, andere Gesellschaften auch in dieser Hinsicht andere Ausdrucksformen entwickelt haben.
Es gilt also zu verstehen: Die Schüler*innen leben jenseits der Schulgrenze ihre kulturellen Bedürfnisse aus – vermutlich verstärkt dadurch, dass sie sich in der Schule am Riemen gerissen haben. Also ist die Lösung: Entwickeln wir in der Schule, zusammen mit den Kindern und Jugendlichen, neue Kulturformen dafür, das menschliche Bedürfnis nach Inkludiertheit in der sozialen Gruppe trotz der Zwänge der Distanz-Elemente zu spüren.
Die neue Achtsamkeit ist derzeit eben nicht, dem Kumpel auf die Schulter zu schlagen, um sich ihm nahe zu fühlen, oder der Freundin die Haare zu flechten, damit sie sich akzeptiert fühlt. Sondern der Hinweis: „Deine Maske ist verrutscht“. Heute ist angesagt, sich gegenseitig aufmerksam, liebevoll und achtsam dabei zu unterstützen, mit dem derzeitigen Übel so umzugehen, dass das Gemeinschaftsgefühl dabei nicht leidet. Das soziale Corona-Kompetenz-Ziel unserer Schulen ist: „Ich kann anderen auch ohne die Gefahr einer Virus-Übertragung das Gefühl geben, dass wir eine tolle Gruppe sind!“
Die neue Achtsamkeit ist derzeit eben nicht, dem Kumpel auf die Schulter zu schlagen, um sich ihm nahe zu fühlen oder der Freundin die Haare zu flechten, damit sie sich akzeptiert fühlt. Sondern der Hinweis: „Deine Maske ist verrutscht“. Heute ist angesagt, sich gegenseitig aufmerksam, liebevoll und achtsam dabei zu unterstützen, mit dem derzeitigen Übel so umzugehen, dass das Gemeinschaftsgefühl dabei nicht leidet. Das soziale Corona-Kompetenz-Ziel unserer Schulen ist: „Ich kann anderen auch ohne die Gefahr einer Virus-Übertragung das Gefühl geben, dass wir eine tolle Gruppe sind!“
Das ist das demokratische Bildungsziel für die Schule von heute (am ersten Tag des zweiten Lockdowns): Auf der Wissensebene klären wir die moralphilosophischen Hintergründe, die biologische Faktenlage und die sich ergebenden Herausforderungen für die Gemeinschaft, und auf der Handlungsebene erdenken und erproben wir neue Sozialformen dafür, uns trotz der Krise gegenseitige Wertschätzung zu zeigen!