21 Aug

Neues Schuljahr: Alles gut?

Ein Beitrag von Dr. Anja Reinermann-Matatko

Zur Person: Inhaberin des Büros SEP-Beratung (Schulentwicklungsplanung- Beratung), das mit dem IfpB eine Kooperation unterhält, genannt ArGe Bildung (Arbeitsgemeinschaft Bildung). Der Zusammenschluss ist aus der Erkenntnis entstanden, dass Schulträger und Schulen nicht nur Beratung zu den harten Fakten brauchen (Schülerzahlen, Räume, Schülerströme…), sondern oft auch pädagogische Fragen zu klären sind. Als Schulentwicklungsplanerin erhält Frau Dr. Reinermann-Matatko natürlich vielfältige Einblicke in die Realität unserer Bildungsinstitutionen.

Eben nicht!

Gedanken zu unserem Bildungssystem, nicht nur, aber besonders in Corona-Zeiten:

Die Schulschließungen aufgrund des Corona-Lockdowns waren zunächst eine Schutzmaßnahme für uns alle. Niemand konnte genau wissen, wie das Virus sich verbreitet und ob durch den Präsenzunterricht eine massive Streuung des Erregers stattgefunden hätte, die durch die Präventionsmaßnahme zu verhindern gewesen ist.

Aufgrund der kurzen Vorlaufzeit mussten die Schulen sehr schnell und im Rahmen ihrer Möglichkeiten entscheiden, wie sie mit der neuen Situation, dem Homeschooling, umgehen.

Übergangslösungen wurden eingerichtet, die mit den technischen Ausstattungen und auch dem Know-How der Lehrkräfte vereinbar waren. Aber es war eben nicht nur eine Woche, in der kein Präsenzunterricht mehr stattfand. Oft gab es lange Zeit keinen Face-to-Face-Kontakt zwischen Lehrkräften und den Schüler*innen. An manchen Schulen wurden in dieser Zeit die Beschulungskonzepte weiterentwickelt. Viele Bundesländer hielten Plattformen bereit, um den digitalen Unterricht unter Berücksichtigung des Datenschutzes durchführen zu können.

Wie aber dieser Unterricht stattfand, war stark abhängig von den individuellen Bedingungen der einzelnen Schule und der jeweiligen Lehrkraft. Es entstanden sehr unterschiedliche Lernumgebungen für Kinder, abhängig von vielen Zufallsfaktoren, wie technische Ausstattung, Versiertheit der Lehrperson im Umgang mit Medien, Unterstützung durch das Elternhaus….

Dadurch verschärfte sich das Problem der Bildungsungerechtigkeit deutlich, und das eben nicht nur durch den Zuwendungsverlust und die fehlenden Peergroup-Effekte im Präsenzunterricht. Kinder, deren Eltern höhere akademische Abschlüsse, besseres technisches Equipment, mehr Platz, keine Sprachbarrieren haben, konnten von ihren Eltern in der Homeschooling-Zeit mehr Unterstützung erhalten als andere. Aber was ist denn nun mit denen, deren Eltern es entweder aufgrund von Sprachbarrieren oder aufgrund fehlender eigener schulischer Bildung schlichtweg nicht möglich war, die Kinder genauso zu unterstützen? Oft sind es Kinder, die im besten Fall sonst einen Hort besuchen, eine Ganztagsschule und die dadurch eine Unterstützung erfahren, die ihnen zu Hause nicht geboten werden kann. Viele Jugendhilfeeinrichtungen haben sich in dieser Situation bemüht, die zu befürchtenden Langzeit-Benachteiligungen auszugleichen. Das konnte aber nicht mehr sein als Tropfen auf den heißen Stein, da es sich nur um einen Bruchteil der Förderung handelte, die diese Kinder nun dringend benötigen.

Linderung in Sicht?

Was ich vermisse, sind klare Vorgaben der zuständigen Bundesländer, die sicherstellen, dass es kein individuelles Lotto für das einzelne Kind darstellt, wie es in diesen besonderen Zeiten (und später darüber hinaus) beschult wird. Wie soll der Unterricht stattfinden? Wie soll Bildungsgerechtigkeit geschaffen werden? Den Schulen ist nun unter Corona-Auflagen wieder vieles freigestellt. Richtig ist, dass Schulen Spielräume zur Entwicklung von Konzepten brauchen. Die Bundesländer sollten aber dort äußere Rahmenbedingungen schaffen, wo die Einzelschulen mit einer Vielzahl von Anforderungen überfordert sind. Corona ist so eine Situation, in der die Politik die handelnden Institutionen durch Vorgaben unterstützen sollte. Das wird die Schulen durch Handlungssicherheit entlasten, denn Eltern haben unterschiedliche Einstellungen, Lehrer*innen ebenfalls. Bei der Frage, wie viel Nähe darf, wieviel Abstand muss sein, gehen die Meinungen weit auseinander.

Von den jeweiligen Kultusministerien erwarte ich konkrete Aussagen dazu, was unter welchen räumlichen Voraussetzungen stattfinden soll und darf.

Und ganz wichtig: Wenn Unterricht wegen der zukünftigen Entwicklung der Pandemie in Präsenz nicht möglich sein wird, welche digitalen Wege sind dann zu gehen? Das Lehrpersonal muss fortgebildet werden. Verpflichtend, für alle. Die technischen Voraussetzungen müssen vorhanden sein. Überall. Der Wohnort darf nicht entscheidend dafür sein, ob digitales Lernen stattfinden kann.

Vielleicht!

Ich wünsche mir ein Schulsystem, in dem die Frage, ob ein Kind mitgenommen oder abgehängt wird, nicht von den Fähigkeiten und dem Engagement einzelner Lehrkräfte abhängig ist. Jedem Kind müssen alle Bildungswege offenstehen. Die Spaltung, die bereits in der Grundschule stattfindet, ist alles andere als bildungsgerecht. Corona hat ein weiteres Mal deutlich gezeigt, dass wir von Chancengleichheit Meilen entfernt sind. Ich hoffe, dass die Erschütterung darüber weit genug reicht, um die Chance zu sehen, dass wir endlich neue Wege gehen und für einen grundlegenden Systemwechsel sorgen müssen.

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