09 Jul

Ein pädagogischer Blick auf Martin Spiewak und den konstruktiven Journalismus

Kritischer Blick…. ja, aber auch Wege zu Lösungen zeigen……

Wer in der einschlägigen Szene unterwegs ist, kennt den ZEIT-Journalisten Martin Spiewak. Er betreut das Ressort Wissen dieser großen deutschen Wochenzeitung und berichtet über Schule und Pädagogik betreffende Ereignisse in der Republik.

In Münster, wo auch unser Institut für pädagogische Beratung seine Wurzeln hat, gibt es ein anderes, äußerst spannendes Zeitungsprojekt Perspective Daily (PD): Eine Online-Zeitung, die täglich einen gut recherchierten Beitrag bringt, der den Grundsätzen des konstruktiven Journalismus folgt. Die täglichen Beiträge sind vielfältig miteinander vernetzt. Das macht Perspective Daily schon seit 2016. Wer den Tagesbeitrag häufig liest, bekommt so Zugang zu einem umfassenden Netzwerk von konstruktiven journalistischen Überlegungen.

Aus Sicht der Pädagogik halten wir die Grundideen des konstruktiven Journalismus für sehr überzeugend. Wie viele alternative Medien kämpft PD darum, genügend Lesende, besser noch Abonnierende zu gewinnen, so dass sich das Vorhaben wirtschaftlich trägt. Vor wenigen Tagen ist, wieder einmal, ein Beitrag erschienen, der die 6 Grundideen des konstruktiven Journalismus knapp und verständlich nachzeichnet. Sie wurden von den PD-Gründern Prof. Dr. Maren Urner und Han Langeslag entwickelt. Der Beitrag erklärt vor allem, wieso ein derartiger Journalismus alles andere als ein einlullender Wohlfühl-Journalismus ist: [https://perspective-daily.de/article/2191-das-sind-die-6-prinzipien-des-konstruktiven-journalismus/phYSh2KJ].

Von diesem sehr empfehlenswerten Beitrag bis hin zu den Grundsätzen, die Katharina Wiegmann als Inspiratorin des Redaktionsteams auf der Basis konstruktivistischer Theorie entwickelt hat, führt der Artikel die interessierte Leserschaft, so dass wir hier gar keine Literatur zitieren müssen. Nutzen Sie einfach den Link für einen Eindruck. Sehen Sie selbst, wie Sie gut gemachter Journalismus sowohl theoretisch als auch praktisch befruchten kann – und lernen dabei gleich noch etwas darüber, wie in heutigen Zeiten selbstgesteuerte Lernprozesse gestaltet werden können!

Wir halten die Grundprinzipien für pädagogisch stimmig, weil sie entwickungsorientiert sind. Sie implementieren, dass es Probleme, Krisen, Katastrophen, Not und Elend auf der Welt gibt, aber der Mensch als Einzelner und, vor allem, wenn er sich in Gruppen passender Größe zusammentut, das Potential entwickelt, gute Lösungen zu finden. Wohl sind, das wussten schon unsere Ahnen, die Lösungen von heute die Probleme von morgen. Es lohnt sich also, sich nicht für die erstbeste Lösung zu entscheiden, sondern sorgsam nachzudenken und die Lösung zu wählen, die möglichst nachhaltig zu wirken verspricht. Der Mensch bringt – das ist das Credo der Pädagogik – das Potential zu Findung von Problemlösungen mit; die Kunst ist, ihn zu bewegen, davon Gebrauch zu machen.

Was hat diese Überlegung mit dem eingangs erwähnten Mitarbeiter der ZEIT zu tun? Herr Spiewak hat sich vor einigen Jahren in einem für das Blatt, für das er schreibt, äußerst fortschrittlichen Beitrag mit der Verantwortung der Journalistik-Zunft für die Aktivierung der Problemlöse-Kompetenzen der Leser*innen auseinandergesetzt. Genauso messerscharf, wie es das PD-Team macht, kommt er zur Erkenntnis, dass Journalisten, die immer wieder über Probleme schreiben, aber das Schreiben über gute Lösungen der Probleme vernachlässigen, zur weit verbreiteten resignativen Kultur unserer deutschen Gesellschaft beitragen.

Das aus unserer Sicht vorbildliche Element des Spiewak-Beitrags ist die Erkenntnis des Autors, selbst durch seine bisherige Praxis der Berichterstattung zu dieser resignativen Kultur beigetragen zu haben. Herr Spiewak verbindet das mit der Formulierung des Selbstanspruchs, in seiner Zeitung zu einer konstruktiveren Kultur beizutragen. Seitdem versorgen wir ihn im Wissensbereich Pädagogik regelmäßig mit Hilfe dieses Blogs, den Sie gerade lesen, über Anregungen, wie eine solche konstruktive Praxis im Feld von Schule, Bildung und Lernen aussehen könnte. Na ja … wir haben ihn darauf aufmerksam gemacht, dass er unseren Blog abonnieren kann. Ob er das tut, entzieht sich unserer Kenntnis, wir würden uns aber freuen…

Denn Herr Spiewak, bei voller Wertschätzung Ihrer Arbeit, geben wir Ihnen das Feedback: Wir sehen bei Ihnen in der angesprochenen Problematik noch Luft nach oben. Sie haben, in der Ausgabe 26/2022, S. 38, zusammen mit Ihrer Kollegin Jeanette Otto, die Erziehungswissenschaftlerin Felicitas Thiel zur Problematik Lehrermangel befragt. Frau Thiel stellt dort, absolut berechtigt, fest: „Wir können uns die [fehlenden] Lehrer nicht backen!“ Genau! Also ist es, das sagt Frau Thiel auch, wichtig, klar auszusprechen, dass empirisch gesehen kein Zusammenhang zwischen Lerngruppengröße und Bildungserfolg einer Schule besteht. Also, knapp gesagt: Machen wir die Klassen etwas größer! Aus Sicht der Pädagogik ist das keine Katastrophe!

Soweit die gute Botschaft, die Sie Beide der Wissenschaftlerin entlocken. Aber nun verfällt Ihr Interview in das altbekannte Gejammere über die Belastung der Lehrpersonen. Warum fragen Sie Frau Thiel nicht einfach: „Wie, bitte sehr, können wir denn gleichzeitig die Klassengröße erhöhen, den Lerneffekt für jede einzelne Schülerin und jeden einzelnen Schüler steigern und noch dazu beitragen, dass die (noch) verfügbaren Lehrpersonen ihre Arbeit mit weniger Belastungsempfinden und größerem Erfolgserlebnis machen?“ Denn das wäre doch die Lösung des Problems!

Das sollten Sie fragen, wenn Sie ernsthaft daran interessiert sind, dass sich die Lage im Hinblick auf die Lehrkräfte-Versorgung unserer Schulen verbessert! Sofern sie konstruktiv wirken wollen! Sonst werden sich doch die jungen Menschen, von denen wir uns wünschen, dass sie sich für den Lehrerberuf entscheiden, einen Deibel tun und in den Schuldienst gehen! Wenn Mitarbeiter fehlen, lehrt die Systemtheorie, müssen die Betreiber des Systems die Attraktivität des Arbeitsplatzes steigern – das ist, was den Lehrerjob angeht, nur nachrangig eine Frage des Geldes. Sondern die Frage danach, wie eine Schule in ihrem Inneren pädagogisch arbeitet!

Wir denken, Frau Thiel bringt hier von der Seite der Wissenschaft her viele weiterführende Anregungen mit. Die Journalist*innen der ZEIT könnten diese verbreiten! Manchmal aber, Herr Spiewak, lohnt es sich auch, Praktiker der Entwicklung von Schule zu fragen! Es gibt viele davon, wir als IfpB gehören dazu. Wenn Sie uns ansprechen, schreiben wir gern mal einen Blogbeitrag als Antwort auf die Frage, die wir Ihnen eben in den Mund gelegt haben…

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