23 Feb

Erziehung zum Rassismus nach Schulbuch?

Rassistische, kolonialistische Afrikabilder in Geschichts- und Gesellschaftslehrebüchern ?!

In den folgenden zwei Blogeinträgen (also heute und in einer Woche) unserer Mitarbeiterin Lucinda Jäger beschäftigen wir uns mit Gedanken zu Afrikadarstellungen in Schulbüchern. Welche Bilder und Vorstellungen wandern in die Köpfe unserer Schüler*innen? Das scheint uns – neben der Haltung der Unterrichtenden – nicht unwichtig. Vorgeschichte: Bei der Konzeption des IfpB zu einer überschulischen Veranstaltung zu Nachhaltigkeit und antirassistischer Erziehung gerieten wir in eine Diskussion, ob denn die verwendeten Schulbücher in Fächern wie Geschichte oder Gesellschaftslehre dazu geeignet seien. Die Argumentation unserer Mitarbeiterin Lucinda Jäger ließ uns aufhorchen. Sie hat sich schon länger mit diesem Problem beschäftigt und befasst sich hier nun kritisch in zwei Gastbeiträgen mit der Frage nach Rassismus in Schulbüchern (und sollten Sie ebenso aufhorchen wie wir: Am Ende der Beiträge finden Sie Hinweise auf Beispiele, einen interessanten Link und weiterführende Literatur):

„Ein Blick in heutzutage verwendete Geschichts- bzw. Gesellschaftslehrebücher verdeutlicht, wie koloniale und rassistische Afrikabilder nach wie vor in den Schulbüchern – und in den Köpfen von Heranwachsenden – reproduziert werden. Neben antithetischen Konstruktionen des „Anderen“, also der Verwendung Afrikas als negatives Gegenbild zu Europa respektive zum Westen und der Betonung von Europas zivilisatorischer Überlegenheit, finden sich selten positiv konnotierte Darstellungen zu dem Themengebiet „Afrika“. Das schwarze Mädchen, das als Antithese zum weißen Mädchen bei den Aspekten „Armut und Dritte Welt“ dient, ist lediglich eines von vielen zu beobachtenden Beispielen. Schwarze sowie people of colour (POC) sind außerhalb jener stereotypen Schablonen zumeist wenig bis gar nicht präsent. ([1] Anmerkungen und weiterführende Beispiele finden Sie am Ende des Blogeintrags)

Das Schulbuch unterliegt als Medium gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen, es repräsentiert vermeintliches gesellschaftliches Wissen und legitimiert dieses Wissen – gleichzeitig repräsentiert und legitimiert das Schulbuch häufig rassistische, kolonialistische Narrative.([2]) Schulbuchstudien zeigen eine Vielzahl von rassistischen Elementen in Schulbüchern: Bis heute weisen diese eurozentrische Erzählmuster auf, die sowohl koloniales als auch rassistisches Überlegenheitsdenken sowie die Verfestigung kolonialrassistischer Vorstellungen begünstigen.([3]) Positiv geprägte Repräsentationen von Schwarzen oder POC finden sich vergleichsweise selten in den Schulbüchern für die Unterrichtsfächer Geschichte der Gesellschaftslehre. Trotz der aktuellen Relevanz des interkulturellen Lernens in vielfältig heterogenen Lerngruppen, sind Reproduktionen von rassistischen Bildern in Geschichtsschulbüchern an der Tagesordnung. Dies ist mehrfacher Hinsicht gefährlich: „Schwarze Menschen werden […] auf bestimmte Rollenmodelle festgelegt und […] ausschließlich auf Opfer von Katastrophen und Gewalt, Hilfsbedürftige, Versklavte, Schützlinge und Fremde reduziert. Diese entwertende Darstellung verbreitet Zuschreibungen, die entlang von rassistischen Kategorien konstruiert werden und impliziert stillschweigend eine weiße Überlegenheit.“([4]) Koloniales Gedankengut wird also im 21. Jahrhundert weiterhin in die Köpfe der Schüler*innen transportiert.

Die Schulbücher tappen in verschiedenste interkulturelle Fallen, wie beispielsweise die Kulturalisierung, Ethnisierung und Stereotypisierung eines gesamten Kontinents. Postkolonialistische Theorien sind – besonders in den für die Sekundarstufe I verwendeten Schulbüchern – schwer zu finden. Vor der Entdeckung Afrikas durch die Europäer, vor der Zeit des Imperialismus und des Kolonialismus erscheint Afrika in Geschichtsbüchern als gesichts- und geschichtsloser Kontinent. Afrikanische Quellen oder Autoren sowie afrikanische Geschichte abseits der weißen Wahrnehmung, des Kolonialismus oder der Apartheit sucht man in vielen Fällen vergeblich. Einige untersuchte Afrika-Bilder schwanken zwischen zwei extremen, gegensätzlichen Repräsentationsmodi hin- und her: Zum einen die Darstellung Afrikas im Rahmen eines Afrika-Pessimismus, also der Betrachtung Afrikas als Ort des Elends, der Armut, der Verzweiflung und des „Unzivilisierten“. Jene Darstellung ist zumeist mit einem speziellen Körperbild verbunden, bei der vorwiegend wenig bekleidete, unterernährte Menschen – häufig Kinder oder Frauen – zu sehen sind. Aufgrund der Vielzahl afrikapessimistischer Bilder und kolonialer Darstellungen erscheinen Schwarze überproportional als passive Opfer. Durch das Fehlen afrikanischer Quellen haben sie zudem häufig keine „Stimme“, können nicht für sich selbst sprechen. Obwohl Multiperspektivität seit Jahrzehnten ein Kernelement der Geschichtsdidaktik darstellt, fehlt sie an dieser Stelle häufig völlig. Andererseits erfolgt eine Kontrastierung der ersten Darstellungsform durch einen naiven Afrika-Romantismus: Die Abbildung Afrikas als naturverbundener, exotischer sowie unberührter Ort der Sehnsucht. Meist ist jene Art der Darstellung mit der Verbildlichung von mit Menschen in bunter „Stammeskleidung“ als „exotische Wilde“ in Schulbüchern verbunden. Afro-romantische Darstellungen nehmen zumeist einen geringen Anteil der vorhandenen Repräsentationsmodi ein.

Die reproduzierten Bilder werden als koloniale Wahrheiten vermittelt, verankern sich im Bewusstsein der Schülerinnen und Schüler und somit entstehen gesellschaftliche Diskursmechanismen, die auf der Repräsentation rassistischer, undifferenzierter Darstellungsmuster beruhen.([5]) Die Gefahr der Weitergabe von stereotyp-reproduzierenden rassistischen Inhalten und kolonialem Gedankengut, besteht selbst dann noch, wenn Afrikabilder durch eine Lehrperson reflexiv hinterfragt werden, da sie häufig nicht ausreichend umfassend genug hinterfragt werden. Überdies basieren Bildungsinhalte wie Schulbücher auf Normen und Vorstellungen der dominierenden (weißen) Gruppen, was ein weiteres Problemfeld eröffnet, da die betont negativen Zuschreibungen durch eine Anwendung auf Bildungsebene als legitim gelten.“


[1]   Zum Vgl. der Darstellungen Afrikas siehe: Marmer, Elina: Rassismus in deutschen Schulbüchern am Beispiel von Afrikabildern, in:  Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik 36 (2013) 2, S. 25-31, hier. S 27, abrufbar unter:

https://www.pedocs.de/volltexte/2015/10621/pdf/ZEP_2_2013_Marmer_Rassismus_in_deutschen_Schulbuechern.pdf.

[2]   Vgl.: Bönkost, Jule: Dekonstruktion von Rassismus in Schulbüchern. „Verbesserte“ Schulbuchinhalte reichen nicht aus, Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung, 2020, S. 5.

[3]   Vgl.: Bönkost, Jule: Dekonstruktion von Rassismus in Schulbüchern. „Verbesserte“ Schulbuchinhalte reichen nicht aus, Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung, 2020, S. 2.

[4]   Marmer, Elina; Sow, Papa: Wie Rassismus aus Schulbüchern spricht. Kritische Auseinandersetzung mit ‚Afrika‘-Bildern und Schwarz-Weiß-Konstruktionen in der Schule. Ursachen, Auswirkungen und Handlungsansätze für die pädagogische Praxis, Weinheim/Basel 2015, S. 113.

[5]   Vgl.: Dulko, Elisabeth, Namgalies, Anke: „Repräsentationen“ Afrikas in deutschen Schulbüchern am Beispiel des Schulfachs Geschichte (Sek I und II) – eine Stichprobenanalyse, in: Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik 37 (2014), S. 9-14, hier. S 14.

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