02 Mrz

Erziehung zum Rassismus nach Schulbuch! (2) – Und wie dem entgehen?

In Teil 2 unseres Beitrages von Lucinda Jäger erhalten Sie eine Einordnung und am Ende des Textes Literaturhinweise und Links, wie Sie als Unterrichtende mit diesem Problem umgehen können

Vertreter der sozialen Ungleichheitsforschung kritisieren die Tendenz zur Kulturalisierung und Stereotypisierung sozialer Probleme, die nicht nur zu einer Abgrenzung, sondern zu einer Ausgrenzung bestimmter Gruppen führen kann, da eine gesellschaftlich zugeschriebene Fremdheit ontologisiert und gleichzeitig in der kollektiven Psyche der Schüler*innen gefestigt wird.

Eine neuzeitliche historische Bedeutung erlangt Afrika darüber hinaus erst im Kontext des Zusammentreffens mit Weißen. Wird Afrika zumeist als gesichts- und geschichtsloser Kontinent repräsentiert, ereignet sich eine detailliertere Darstellung afrikanischer Geschichte erst im thematischen Rahmen des Aufeinandertreffens von Schwarz und Weiß während des Kolonialismus. Verstärkend kommt hinzu, dass die Folgen des Kolonialismus selten so skizziert werden, dass die bestehenden Zusammenhänge mit heutigen Problemen Afrikas deutlich werden.[1] Kolonialistische und imperialistische Bestrebungen der Weißen werden teils sogar verharmlost. Aufgaben leiten Schüler*innen sogar dazu an, den Kolonialismus zu relativieren, in dem sie aufgefordert werden, die „positiven Auswirkungen“ auf Schwarze aufzuzählen.[2] Ein Kapitel wird mit dem Titel „Vom Imperialismus zur Entwicklungszusammenarbeit“ eingeleitet, was den Eindruck erweckt, es handele sich bei der Kolonisation Afrikas um eine frühe Form der Entwicklungshilfe.[3] Erfolgt zum Thema Afrika in den Schulbüchern wiederholt die Abbildung einer somalischen oder äthiopischen Lehmhütte – im Kontrast zu einem modernen deutschen Wohnhaus – als ausschließliches Behausungsexempel, so wird die einfache Hütte „als simplifizierendes und unterlegenes Symbol für ganz Afrika in den Köpfen verfestigt.“[4]

Das gilt ebenso für weitere negativ konnotierten Repräsentationsmodi wie beispielsweise die reduzierte Darstellung von Frauen in Stammeskleidung oder unterernährten Kindern, die sich als Symbole für Afrika auf Dauer im Bewusstsein der Schüler*innen verankern. Aufgrund des vorgegebenen reduzierten Narratives werden auch in Deutschland geborene schwarze Schüler*innen oder nicht-afrikanische POC auf diese Darstellung reduziert.

Darüber hinaus wird Afrika meist homogen, also als eine einheitliche Kultur dargestellt und nicht als Kontinent mit über 50 sehr verschiedenen sowie wirtschaftlich unterschiedlich entwickelten Ländern. Es entsteht aufgrund dieser Repräsentationsweise der Eindruck, Afrika sei vielmehr ein Land. Alternative Aspekte, wie das moderne Leben in südafrikanischen Städten in Kapstadt oder Johannesburg, werden zumeist ausgespart. Positive, korrigierende Darstellungen wie die Vorreiterrolle Kenias bei dem Verbot von Plastiktüten[5] beispielsweise werden ausgespart. Rassistisches koloniales Denken wird mit derartigen Bildern – oder den nahezu völlig fehlenden positiven Afrikabildern abseits eines Afro-Romantismus – nicht hinterfragt, sondern in den Köpfen von Heranwachsenden regelrecht zementiert.

Es bleibt die Frage offen, wie einer rassistischen Stereotypreduktion in Bezug die dargestellten Afrikabilder künftig entgegengewirkt werden kann. Was ist ein möglicher Gegenentwurf zu der Konstruktion sowie Reproduktion von rassistischen Stereotypen und welche Handlungsempfehlungen ergeben sich hieraus?

Es gelten bei dem Thema Afrika demnach andere Maßstäbe als bei der Darstellung Europas oder Nordamerikas. Um rassistische Stereotypreproduktionen und koloniale Erzählmuster zu vermeiden – sie in erster Linie zusammen mit Schüler*innen zu dekonstruieren –, bedarf es einer ständigen Reflexion des eigenen Lehrerhandelns und besonders des eigenen Umgangs mit den in Schulbüchern bereitgestellten (Bild-) Materialen. Zunächst einmal sollten Diskursmechanismen vermieden werden, die auf der Repräsentation rassistisch-stereotyper Reduktionen beruhen. Im besten Falle sollten die visuellen Darstellungen und Termini, mit denen Afrika in Schulbüchern beschrieben wird, wissenschaftlich zutreffend sein, ohne nahezu ausschließlich negative Konnotationen zu beinhalten.[6] Eine Möglichkeit ist es, andere Perspektiven aufzuzeigen, ein weiteres – neu gedachtes – Feld der Afrikadarstellung zu eröffnen und somit das Wissen über Afrika für Schülerinnen und Schüler zu erweitern, respektive zu korrigieren. Hierbei ist einerseits die Abkehr von überwiegend defizitorientierten, antithetischen Erzählmustern und Abbildungsweisen grundlegend. Um sich von den einseitigen Erzählmustern zu lösen, bietet es sich andererseits an, Alternativen abseits der gängigen Beispiele zu finden und eine Dekonstruktion von bestehen kolonialen Afrikabildern anzustreben. Eine kritische Betrachtung der Narrative „Modernität“ oder „Zivilisation“ ist hierbei essenziell. Um einer Darstellung Afrikas als gesichts- und geschichtsloser Kontinent entgegenzuwirken, ist es empfehlenswert, deutlich mehr Raum für afrikanische Geschichte durch die Verwendung afrikanischer Autoren, Quellen oder Stimmen zu schaffen.

Es ist richtig, dass eine Thematisierung der de facto durchaus existierenden Probleme innerhalb des Kontinents Afrika in die Schulbücher aufgenommen wird, eine deutliche Überpräsenz rassistischer, stereotyper Reproduktionen und Konstruktionen gilt es dagegen in Zukunft zu vermeiden. So wäre es überdies wünschenswert, weniger plakative Vergleiche zu verwenden sowie Schüler*innen – und unbedingt die Lehrkräfte – im Sinne eines kritischen Weißseins zu einem rassismuskritischen Denken sowie dem Hinterfragen der Verwendung von Afrikabildern anzuregen. Dauerhaft rassismuskritische Bildungsarbeit und die Befähigung der Schüler*innen zur kritischen Auseinandersetzung mit kolonialen Narrativen sowie Stereotypen sind mögliche Antworten auf die bestehenden Missstände. Voraussetzung hierfür ist eine „awareness“ aller zuständigen Akteure des Bildungssystems: Diese Verantwortung zieht sich von der Schulbuchtentwicklung über die Schulleitung, der didaktischen Fachleitung bis zu jeder einzelnen Lehrkraft. 

Sinn und Ziel von Schulbüchern kann es nicht sein, plakative Bilder und Rassismen in den Köpfen von Heranwachsenden zu konsolidieren oder gar Stereotype zu kreieren. Um das Hineintappen in gängige Fallen der Reproduktion von rassistischen Afrikabildern zu vermeiden, empfiehlt sich beispielsweise die intensive Auseinandersetzung mit dem „rassismuskritische[n] Leitfaden zur Reflexion bestehender und Erstellung neuer didaktischer Lehr- und Lernmaterialien für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit zu Schwarzsein, Afrika und afrikanischer Diaspora“[7].


[1]   Vgl.: Poenicke, Anke: Afrika realistisch darstellen Diskussionen und Alternativen zur gängigen Praxis, Schwerpunkt Schulbücher, Sankt Augustin 2003, S. 80.

[2]   Vgl.: Apraku, Josephine, in: Prado, Simon Sales: Kolonialismus in Schulbüchern: „Gewalt wird nicht thematisiert“. TAZ Online vom 17.7.2020.

[3]   Vgl.: Marmer, Elina: Rassismus in deutschen Schulbüchern am Beispiel von Afrikabildern, in:  Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik 36 (2013) 2, S. 25-31, hier. S 27.

[4]   Marmer, Elina; Sow, Papa: Wie Rassismus aus Schulbüchern spricht, S. 115.

[5]   2017 hat Kenia das schärfste Plastiktütengesetz der Welt verabschiedet.

[6]   Poenicke, Anke: Afrika realistisch darstellen Diskussionen und Alternativen zur gängigen Praxis, Schwerpunkt Schulbücher, Sankt Augustin 2003, S. 119.

[7]   Abrufbar unter: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/Literatur/Literatur_Bildung/Rassismuskritischer_Leitfaden.html

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