18 Feb

Sturmtiefs und Inzidenzrückgänge

Heute brechen wir mal eine Lanze für staatliche Vorgaben, aber auch für einen eigenständigen Umgang der Schulleitungen mit diesen Anordnungen:

Das tägliche Auf und Ab, sei es beim Luftdruck oder bei der Inzidenzrate, plagt unsere Schulen bei der pädagogischen Arbeit. Diese Woche kommt es knüppelhart: Mittwoch ein Sturmtief aus Nordwest, Donnerstag Corona-Neuregelungen aus Berlin via Landeshauptstadt. Täglich neue Vorgaben der Schulaufsicht sollen umgesetzt werden. Das strapaziert Schulen und Schulleitungen. Wie agiert man schlau und arbeitseffizient, wenn alle Beteiligten wissen, dass Maßnahmen schon morgen wieder überholt sein können?

Wir begleiten Schulen bei deren inneren Schulentwicklung. Langfristig. Der dabei wachsende personale Kontakt ist nicht nur Schmiermittel der Kooperation, sondern er macht die Arbeit zur Freude. Menschliche Nähe wächst. Lehrkräfte erleben sie, wenn sie sich darauf einlassen, ihre Schüler*innen beim Lernen zu begleiten. Und wir erleben sie im Kontakt mit den aktiven Personen an den sich wandelnden Schulen. Das sind die Freuden des pädagogischen Handwerks. Manchmal aber möchte man sein Gegenüber einfach mal durchschütteln, wenn man erlebt, wie mühsam personales Lernen ist! Manchmal machen Lernende es sich echt schwer! Dafür zwei Beispiele:

In NRW erreichte am Mittwoch, gegen 12 Uhr, eine Mail des Schulministeriums alle Schulen mit der Absage des Unterrichts für Donnerstag. Grund: Orkanwarnung. Sicherheit geht vor. Wer kann, soll zuhause bleiben. Hier übernimmt das Ministerium Verantwortung in einer Problematik, die sonst immer bei den Schulleitungen hängen bleibt. Das Ministerium entlastet sie mit einer klaren Entscheidung. Wir würden allen Schulleitungen raten, eine kurze Dankesmail zu schreiben. Positives Feedback geben – das wird doch von führenden Pädagog*innen empfohlen!

Was erleben wir stattdessen?

Ein Leitungsmitglied einer Gesamtschule nutzt den schülerarmen Vormittag, um uns eine Mail zu schreiben. Es geht um das Entwicklungsprojekt der Schule. In der Mail wird Kritik an der Schulaufsicht sichtbar: Warum wird Ausfall von Unterricht verordnet? Wir in unserer Schule sind so weit digitalisiert, dass wir problemlos auf Distanzunterricht umstellen können!

Am gleichen unterrichtsfreien Donnerstagsmorgen meldet sich auch eine Grundschule. In dieser Mail kritisiert die Konrektorin nicht den Unterrichtsausfall, sondern die neuen Corona-Testregeln. Künftig müssen voll immunisierte Kinder in NRW nicht mehr getestet werden. PCR-Tests für alle werden abgeschafft. Eltern sollen ihre Kinder regelmäßig selbst testen und der Schule schriftlich bestätigen, dass sie dieser Plicht nachkommen. Kinder ohne diese Elternbestätigung werden in der Schule getestet. Wenn die Schule Veranlassung hat, der Elternbestätigung zu misstrauen, so kann sie die Vorlage einer negativen Testbestätigung durch eine anerkannte Teststelle verlangen. Die Schulkonferenz kann aber auch beschließen, dass die Schule stets auf Testung in öffentlichen Teststellen besteht. Kurz: Die Schulaufsicht setzt als Regelfall Vertrauen in die Eltern und Aufwandsreduktion in der Schule, bietet aber auch die Alternative öffentliche Kontrolle und höherer Aufwand in der Schule als Option.

Die Konrektorin kritisiert: „Dann müssen wir ja wieder die ganze Mitwirkungs-Prozedur bis zur Schulkonferenz durchziehen.“ Tatsächlich nimmt die Schule – das wissen wir – die Partizipation von Lehrkräften und Eltern sehr ernst. Ja, das ist jedes Mal ein Akt, der mit viel Arbeit verbunden ist. Aber – muss das in diesem Fall sein? Der Partizipationsprozess muss hier doch nur ablaufen, wenn jemand die Abweichung vom Regelfall fordert!

Aus Sicht unseres Instituts zeigen sich in beiden Fällen tiefgreifende Probleme der Interaktion zwischen Schulaufsicht und den einzelnen Schulen. Beide Schulleitungen sollten lernen, sich als selbstbewusste Akteure der Praxis aufzufassen, deren Schulaufsicht sich nach Kräften bemüht, zum Finden guter Lösungen beizutragen. Die Erwartung, dass ein Schulministerium dabei genau die Lösung anbietet, die zur individuellen Situation der einzelnen Schule passt, ist ein bisschen treuherzig. Die Aufsicht steckt einen Rahmen, innerhalb derer sich die Schulen selbstbewusst bewegen sollen. Dieser Grundsatz gilt nicht nur für die Gestaltung von Unterricht und Lernen in heterogenen Lerngruppen. Dieser Grundsatz gilt auch für die Gestaltung des Aktionsraums der Einzelschule im sehr heterogenen System von Schulen eines großen Bundeslandes.

Das fängt damit an, dass Schulleitungen nicht auf die Aufsicht schimpfen, sondern dass sie die Logik, die hinter den Erlass-Regelungen stecken, zu erschließen versuchen. Das ist in beiden Fällen, um die es hier geht, nicht schwer:Beim Sturmtief geht es um die Sicherheit von Kindern und Lehrkräften. Sie sollen wegen der Gefahren auf dem Weg nicht ins Schulhaus kommen. Das Schulministerium NRW weiß sehr wohl, dass einige Schulen in der Lage sind, innerhalb von einer Stunde ihren Betrieb auf Distanzunterricht umzustellen. Es weiß aber auch, dass viele Schulen damit derzeit noch überfordert sind. Also schützt es solche Schulen vor der Blamage, noch nicht so weit zu sein. Und vertraut darauf, dass die, die es können, es besser machen. Ist doch schlüssig, oder?

Bei den Regelungen zum Corona-Test unterstützt die Priorisierung des Ministeriums die Philosophie, am Ende der Pandemie die Verantwortung für die Gesundheit an die Menschen zurückzugeben. So richtig es war, dass der Staat in der Krise die Verantwortung an sich gezogen und strikte Regelungen mit Grundrechts-Eingriffen vorgenommen hat – nun müssen alle wieder lernen, selbstverantwortlich zu handeln. Wenn also eine Schule die Kontrolle über die Testung der Kinder behalten will, so soll sie ihr Begehren erläutern – in der Schulkonferenz. Ist doch schlüssig, oder?

Welche Antwort geben wir also den beiden Schulen zu den Äußerungen, die uns als Beifang der eigentlichen Tätigkeit der Schulentwicklungsbegleitung erreicht? Wir sagen: „Schulleitungen, begreift die Schulaufsicht als euren Freund. Geht selbstbewusst mit dem um, was sie sagt!“Die Gesamtschule könnte verkünden: „Wir sind gut aufgestellt und machen daher an dem Tag nicht Lulifax, sondern verwickeln alle Schüler*innen in Distanzunterricht.“

In der Grundschule könnte die Schulleitung allen Beteiligen erst einmal die innere Logik des Erlasses erläutern. Und für diejenigen, die die Kontrolle trotzdem in der Schule behalten und also die Schulkonferenz-Prozedur beantragen wollen: „Ist euch klar, wie viel zusätzliche Mühe uns das Ausleben des Misstrauens gegenüber den Eltern macht? Habt Ihr euch auch gut überlegt, was das mit unserer Schule macht, wenn ihr in der Schulkonferenz beantragt, einen Beschluss zu fassen, der von einem generellen Misstrauen gegenüber der Elternschaft getragen ist?“ Das Ganze in der Hoffnung gesprochen, dass die deutliche Ansage der Schulleitung so überzeugend ist, dass niemand einen Antrag stellt.

Wir als IfpB glauben: In beiden Fällen gäbe es ein dickes Lob von der zuständigen Dezernentin für das abgewogen selbstständige Handeln der Schulleitung!

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