15 Dez

Jetzt leuchtet die Ampel bunt


Bemerkungen
zum pädagogischen Anteil politischen und journalistischen Handels

Die Ampel leuchtet in drei Farben gleichzeitig? Der Horror jeden Verkehrsplaners! Im Straßenverkehr gäbe es Chaos. Müssen wir jetzt neue Verkehrsregeln zur Bewältigung von Vielfalt lernen? Wir geben pädagogische Impulse zum Start der neuen Koalition.

Der Übergang: Beeindruckend der breite Applaus für die Lebensleistung der scheidenden Kanzlerin im Parlament. Außer von einer Fraktion. Respekt für 16 Jahre vollen Einsatz von Frau Merkel fürs Vaterland kann man aus unserer Sicht auch zeigen, wenn man oft mit der Regierungsführung nicht eben einer Meinung war. Die meisten Fraktionen taten das auch…

Nun eine Koalition der Vielfalt. Wie das wohl gehen wird? Bemühen wir doch ruhig mal eine Metapher:

Das Sinnbild gelingender Vielfalt im Verkehr ist der Kreisverkehr – jeder ampelgeregelten Kreuzung überlegen. Klare Struktur, einfache Regeln. Manche Verkehrsplaner trauen den Menschen nicht zu, sich dort zurecht zu finden. Paris beweist das Gegensteil: Dort stehen an großen Kreisverkehren keine Ampeln. Der Verkehr fließt dank zweier Regeln: „Wer von rechts kommt, darf vor“. Und: „Wer stehen bleibt, hat verloren“. Mit mehr Struktur hat auch der Radverkehr im Kreisel seine Chance. Wie am Moritzplatz in Berlin. Dort kommt jeder gut durch, ob mit Bus, Rad, LKW oder Auto unterwegs. Nur aufregen darf man sich nicht und alle müssen ein bisschen mitdenken.

Nehmen wir also die in allen Farben leuchtende Ampel als Sinnbild für eine Gesellschaft, die sich wie ein Kreisverkehr organisiert. Menschen kommen aus den verschiedensten Richtungen und wollen in verschiedene Richtungen. Im Kreisverkehrsplatz verknoten sich ihre Wege. Alle müssen ihr Tempo verringern, Kurve fahren, die eigenen Ziele achtsam gegenüber den andern verfolgen. Im Kreis sind alle gleichberechtigt, egal ob klein, groß, dünn oder dick.

Im Kreisverkehr läuft‘s rund, wenn alle im Verkehr die Regeln achten. Egoisten, die rücksichtslos durchbrettern wollen, gibt es auch dort. Aber die solide Struktur des Kreisels aus Beton sowie die soziale Kontrolle der anderen gewöhnt ihnen so ein Verhalten rasch ab.

Unser soziales Regelsystem ist nicht aus Beton. Das ist gut so. Denn die Realitäten – gerade in der Corona-Krise hautnah spürbar – zwingen dazu, die Regeln aufgrund von neuen Erkenntnissen und Entwicklungen zu verändern. Soziale Regeln bestehen aus Worten, nicht aus Hindernissen, bei deren Missachtung man sich Kritik einhandelt. Sie sind auch nicht immer leicht zu verstehen, denn sie regeln nicht nur die eigenen Rechte, sondern auch die der anderen. Daher erscheinen sie aus der individuellen Perspektive oft sinnleer, störend, einengend, freiheitsberaubend.

In unserer offenen Gesellschaft sind alle Menschen aufgerufen, bei den sie bewegenden Dingen über ihre Sinnsicht zu sprechen. Früher war das anders: Politik versucht oft genug, das Richtige durchzusetzen, ohne aber den politischen Dialog zu führen. Heute sind wir weiter: Das Recht auf partizipative Teilhabe bei der Willensbildung ist ein hohes Gut. Doch es strapaziert und es führt dazu, dass viel geredet wird.

Als Pädagog*innen raten wir hier zu klaren Strukturen für den politischen Diskurs: Jede*r darf ihre/seine Sinnsicht darlegen, muss aber auch die Sinnsicht der anderen Beteiligten achtsam aufnehmen. Verboten ist, die eigene Meinung so vorzutragen, als sei sie a priori richtig und die aller anderen Beteiligten seien falsch. Alle dürfen gerne ihren argumentativen Hintergründe benennen – in der Hoffnung, dass die Argumente überzeugen. So führt partizipativer Dialog zur Findung der bestmöglichen Lösungen.

Doch oft muss (zeitnah) gehandelt werden. Dafür brauchen wir bestimmte Personen, die entscheiden. Sie haben die Aufgabe, die Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen zu treffen. Sie handeln schlau, wenn sie sich im internen Kreis – unter Hinzuziehung von Expertise von außen – beraten und auf ihre Entscheidung verständigen. Würden sie alle diese Debatten öffentlich führen, so erzeugten sie Chaos. Nachdem sie ihre Entscheidung getroffen haben, so haben sie die Pflicht, diese so umfassend zu erläutern, dass die wesentlichen in die Entscheidung einfließenden Begründungen deutlich werden. Hier lauert ein wichtiger pädagogischer Aspekt der politischen Tätigkeit: Vermittlung!

Die Ampelkoalition macht durch die Gestaltung der Koalitionsverhandlungen Hoffnung, dass in dieser Hinsicht gut gearbeitet werden wird. Sie gestaltet ihre Politik so, dass alle drei Farben gleichzeitig leuchten können. Die Partner entwerten sich nicht im wechselweisen Versuch, die anderen auszustechen. Sie leben das Wertschätzungs-Prinzips in der Regierungspolitik: Koalitionsverhandlungen ohne öffentliche Bloßstellung der Partner. Bisher auch klare und transparente Erläuterung der Hintergründe von durchaus unpopulären Entscheidungen.

So werden Gegensätze transparent. Das ist gut. Abwegig ist die Behauptung, das spalte die Gesellschaft, denn eher ist das Gegenteil der Fall. Wenn Gegensätze immer wieder offen ausdiskutiert werden können ohne gegenseitige Verunglimpfung gibt es eine Chance auf klare Positionen. Aushalten können, dass Andere andere Positionen vertreten, gehört zu den Grundtugenden der Demokratie. Eine Politik, die mit Gegensätzen strukturiert umgeht und ihr Handeln nachvollziehbar erklärt ist die beste Medizin gegen die Krankheit Populismus.

Hier müssen wir alle noch viel lernen! Hoffentlich bleiben die Kräfte der Ampel-Regierung bei ihrem Kurs, beharrlich zu erklären, wieso sie welche Politik machen. So wie Herr Scholz am Abend seiner Wahl in der Sendung Farbe bekennen bei Tina Hassel, Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios. Sie stellte ihm eine Frage, auf die Scholz erläuterte, es handele sich in seinen Augen um zwei Fragen und erbat die Chance, erst die eine und dann die andere Frage zu beantworten. Frau Hassel stimmte dem zu.

Noch während der knappen Ausführungen des Kanzlers zur ersten Frage fällt Frau Hassel ihm ins Wort und wiederholt das Stichwort zur zweiten Frage. Herr Scholz bleibt gelassen und sagte: „Gerne möchte ich die erste Frage zu Ende beantworten, dann kommt die zweite.“ Beherrschte Reaktion, kein aufgeregter Angriff wegen der missachtenden Aktion einer führenden Journalistin! Er führt Frau Hassel freundlich, aber bestimmt auf den Pfad geregelter Gesprächsführung zurück.

Auch führenden Medienvertretern fällt es offensichtlich schwer, faire Gesprächsregeln zu respektieren. Wundert es, dass es vielen anderen Menschen auch so geht? Politiker dürfen solche Übergriffe nicht stehen lassen, sondern sollten sie öffentlich korrigieren. Sie haben die Autorität, das wertschätzend zu tun, ein gutes Beispiel zu geben, in klarer und bestimmter Sprache. Wenn es gut läuft, reflektieren die Regelverstoßenden später ihr Handeln – nicht öffentlich, sondern in ihrem internen Kontext. Wir hoffen, dass Frau Hassel in ihrer Feedbackrunde zur Sendung wegen ihres unprofessionellen Agierens eine passende Rückmeldung erhalten hat.

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