08 Okt

Teekesselchen und Gendersternchen

Zugegeben: ein wirklich schlimmes Teekesselchen (Geschäft), mit dem dieser Toilttenverleiher herumalbert

Heute macht sich unsere Beratungsperson Gedanken zum Gendern und wird am Ende zum zufrieden schlummernden Subjekt. Lesen Sie, was das Familienministerium damit zu tun hat:

Grad melden die Zeitungen: Das Bundesfamilienministerium empfiehlt Bundesbehörden, die Gleichstellung von Frauen und Männern sprachlich zum Ausdruck zu bringen. Gendersternchen oder sonstige Sonderzeichen für geschlechtergerechte Sprache sollen aber nicht verwendet werden.  Pädagogisch Denkende (schreiben wir mal nicht Pädagog*innen) fragen sich: Wie soll das gehen?

Seit dem Ende des zweiten Weltkriegs arbeitet die Pädagogik mit dem Sender-Empfänger-Modell nach Shannon und Weaver. Wer eine Botschaft sendet, liefert mit der Botschaft nur einen Rahmen, in dem die Empfangenden ihre Botschaft konstruieren. Die Empfangenden sind also begrenzt frei, wie sie die Botschaft entschlüsseln wollen.

Wahrscheinlich haben wir alle in der Kindheit das Spiel Teekesselchen gespielt: Denke Dir ein Wort mit verschiedenen Bedeutungen aus. Umschreibe die unterschiedlichen Bedeutungen des Worts. Wer das gedachte Wort zuerst errät, hat gewonnen. Teekesselchen ist auch so ein Wort: Es bedeutet einerseits ein Ratespiel und andererseits ein kleines Gefäß zur Herstellung eines Heißgetränkes.

Benutzt jemand beim Sprechen so ein Wort, ergibt sich die Bedeutung aus dem Kontext. Eint Sendende und Empfangende einer Botschaft ein gemeinsamer Kontext, gelingt die Kommunikation meist. Spielt eine der beiden Seiten nicht mit oder kennt den Kontext nicht, sind Konflikte vorprogrammiert.

Das Phänomen tritt bei allen Begriffen auf, die einerseits generisch und andererseits gendermäßig gedeutet werden können. In diesem Sinn ist Lehrer ein Teekesselchen: Ist es eine Person oder ist es ein Mann, aber eben keine Frau, die die Funktion des Lehrens aktiv wahrnimmt? Lehrerin dagegen ist kein Teekesselchen: Hier handelt es sich, gemäß sprachlicher Codierung, um ein zweifelsfrei weibliches Wesen, das die Funktion des Lehrens aktiv wahrnimmt.

Als das Shannon-Weaver-Analysemodell sprachlicher Kommunikation in Deutschland bekannt wurde, mag das noch anders gewesen sein – aber heute ist pädagogisch agierenden Personen die Doppeldeutigkeit von Begriffen des Typs Gender-Teekesselchen bewusst: Sprechende und Hörende können sich in dem einen oder dem anderen Kontext aufhalten.  Unterscheiden sich die Kontexte, so liegt ein Konflikt vor. Diesen konstruktiv auflösen zu können ist gemeinsame Herausforderung der handelnden Personen. Das Wie? ist eine Frage, die die Pädagogik angeht.

Häufig versuchen interagierenden Personen in so einem Konflikt, ihre Sichtweise mit Machtmitteln durchzusetzen: Sie nutzen Strategien, die andere Person in den eigenen Kontext zu zwingen, notfalls mit Gewalt. Probates und gern genutztes Mittel: Man würdigt die andere Seite so weit herab, dass sie sich nicht mehr traut, im eigenen Kontext zu bleiben. In früheren Zeiten waren die Verfechter der generischen Position dominant. Die meisten generischen Begriffe sind maskulin, die Männer setzten sich also durch – ein Element männlicher Dominanz in unserer Gesellschaft. Inzwischen hat die Frauenseite aufgeholt und setzt knallhart Kommunikation im Gender-Modus durch. Dabei kommen durchaus auch Maßnahmen zum Einsatz, die im Hinblick auf autoritäre Dominanz-Strategien männlichen Vorbildern gleichkommen.

Eine konsensuellere Lösung ergibt sich, wenn sich die beteiligten Personen verständigen, in welchem Kontext sie sich bewegen wollen. Nach dem Modell von Shannon-Weaver gibt die sendende Person die Orientierung. Um das zu können, haben findige Menschen unsere Sprache durch ein Symbol erweitert, das den Kontext anzeigt: Das Gendersternchen bzw. gleichwertige Symbole, die sich – mit etwas Übung – auch im mündlichen Sprachgebrauch nutzen lassen. Unser schriftsprachliches Symbolsystem besteht ja nicht nur aus Buchstaben, sondern auch aus Zeichen. Ein zusätzliches Zeichen erhöht die schon jetzt sehr hohe Komplexität des Schriftsprachsystems nur unwesentlich. Die Regel ist einfach: Wer einen Begriff des Typs Gender-Teekesselchen im generischen Sinne verwenden will, nutzt die weibliche Form mit Sternchen. Zuhälter*in und Hure* sind demnach Personen aller Geschlechter, die in der jeweiligen Funktion unterwegs sind.

Die Einführung eines Kontext-Symbols wäre also ein Weg, kommunikative Klarheit über den jeweiligen Kontext zwischen Sprechenden und Hörenden zu erzeugen. Das will aber das Familienministerium nicht. Verlangt es also etwas Unmögliches?

Es gibt noch einen dritten Weg, auch ohne Sonderzeichen, den wir als Institut für pädagogische Beratung für praktikabel halten: Lehrerinnen und Lehrer sind dann lehrende Personen oder Lehr-Personen. Wenn der Kontext klar ist, kann man auf die hinzugefügte Person verzichten und von Lehrenden sprechen. Nachdem der Begriff Person einmal eingeführt worden ist, verbleibt auch im Singular die substantivierte Verlaufsform im Femininum – denn gemeint ist ja die Person, die lehrt – ohne dass das personale Geschlecht angesprochen wird. Wer hier lieber mit dem Maskulinum spielt, führt den Lehr-Menschen ein. Freunde des Neutrums sprechen vom Lehr-Individuum. Sprachliche Kreativität kann sich hier frei entfalten.

Wie jede sprachliche Innovation ist der Übergang zu dieser Sprachform natürlich mit Umlernen verbunden. Doch sie kommt ohne neue Zeichen aus und bietet trotzdem klare Kontext-Informationen. Daraus ergibt sich ein Vorteil, der aus pädagogischem Blickwinkel großen Wert hat: Sie entkuppelt Personalität von Funktion. Wer so spricht, macht damit deutlich: Die Ausübung einer Funktion wird von Sprechenden nicht (auch nicht implizit) mit der Zuweisung personaler Elemente attribuiert. Das bietet echten Zugewinn an Entfaltungsraum für alle!

Ich bin nicht mehr Blog-Schreiber*in, sondern ein im Moment einen Blog schreibendes Subjekt. Gleich lege ich mich aufs Sofa und bin dort ein schlafendes. Wunderbar! Damit geht es mir prima! Danke, Familienministerium!        

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