15 Sep

Was brauchen die Kinder von Saisonkräften? Lernlandkarten!

Wir empfehlen, die Kinder mit dem Wissen über ihren eigenen Lernstand auszustatten.

Hallo, Ministeriale im Schulbereich der Bundesländer! Hier haben wir eine Lösung für ein Problem gefunden, die Sie vielleicht interessieren könnte!

Das Schöne an unserer Arbeit als Beratende bei der Gestaltung von Bildung ist, dass wir immer wieder auf Fragestellungen aus der Praxis stoßen, die zum Nachdenken herausfordern. Eine solche Frage bringt eine Kollegin aus einer kleinen Grundschule im Moseltal in unser Team. An der Mosel arbeiten im Weinbau und in der Gastronomie viele Saisonkräfte. Ihre Kinder besuchen die örtliche Schule, solange die Eltern vor Ort sind. Sie kommen und gehen in Abhängigkeit vom Einsatzort ihrer Eltern. Der richtet sich nicht nach dem Rhythmus der Schuljahre, sondern nach den Erfordernissen des Arbeitsmarkts. Ebenso plötzlich, wie sie gekommen sind, sind sie auch wieder weg. Oft von einem Tag auf den anderen, ohne Abschied und Zeugnis. Morgen tauchen sie vielleicht ganz woanders in der Schule auf. Wie kann die kleine Grundschule im Moseltal so arbeiten, dass sie auch diesen Kindern gerecht wird?

Das Schulsystem mit seiner formalen Struktur ist viel zu schwerfällig, um solchen Kindern gerecht zu werden. Schon innerhalb einer Schule ist es eine Herausforderung, den Lernweg der Kinder so zu dokumentieren, dass das Lernangebot von morgen an den erreichten Könnensstand von heute andockt. Wie soll das also klappen, wenn sich die Eltern und ihre Kinder von Schule zu Schule bewegen? Wie lässt sich sicherstellen, dass jede Schule nicht immer wieder bei Null anfängt? Dass nicht immer wieder engagierte Lehrpersonen eine neue Analyse der Lernausgangslage des Kindes anfertigen müssen, wenn sie ein passendes Lernangebot machen wollen? Wie wird man solchen Kindern gerecht?

Die üblichen bürokratischen Dokumentationssysteme der Lernentwicklung sind viel zu schwerfällig. Sie kommen bei dem Tempo, mit dem die Kinder der Saisonarbeiter ihren Lernort wechseln, einfach nicht mit.

Die Lösung des Problems ist unsere Meinung nach ebenso einfach wie genial: Machen wir die Kinder selbst zum Träger des Wissens über das, was sie schon können! Befähigen wir sie dazu, selbst darüber Auskunft zu geben, was sie schon gelernt haben und was ihre nächsten Lern-Baustellen sind. Ein einfaches Mittel dazu ist eine selbst geführte Lernlandkarte. Die eigene Lernlandkarte als Gedächtnisstütze, die Kinder brauchen, um über ihren Lernstand nachzudenken und zu ihrem Lernfortschritt Auskunft geben zu können.

Damit Kinder eine eigene Lernlandkarte führen können, muss der Unterricht nach Kompetenzen gegliedert sein. Die Pädagogik unterscheidet zwischen Kompetenzzielen für ganze Unterrichtsvorhaben [z.B. Lyrik, Jg. 9: Ich kann, wenn ich möchte, meine Gefühle (z.B. Verliebtheit) in passender Weise in Worte fassen] und Smartzielen beim Kompetenzaufbau [hier z.B.: Ich kann erklären, wie ein Rap aufgebaut ist, und zu einem gegebenen Gefühl einen passenden Rap komponieren]. Das geht auch in jeder Grundschule. Gerade dort sind die Kompetenzziele und die Ich-Kann-Sätze in allen Jahrgängen der Schulen ziemlich ähnlich.

Wie geht das? Die Schule gibt den Kindern ein Blatt mit den Smartzielen (Ich-Kann-Sätzen). Die nächsten Ziele, an denen das Kind arbeiten will, klebt es auf ein großes Trägerblatt. Während der Bearbeitung dokumentiert das Kind selbst, in Rücksprache mit seiner Lehrperson, auf dem Blatt seinen Lernfortschritt durch Farben: Rot heißt: „Das habe ich noch gar nicht verstanden – ich brauche jemanden, der mir das mal gründlich erklärt.“ Gelb heißt: „Das habe ich verstanden, muss es aber noch üben – darum kümmere ich mich selbst mit meinen Lernpartnern!“ Grün heißt: „Das kann ich jetzt gut und habe es verstanden – ich kann es jemand anderem (z.B. einem, der bei diesem Ich-Kann-Satz rot hat) die Erklärungen geben, die er braucht.

Wenn die Lernlandkarten – eine für Sprache, eine für Mathematik und eine für Sachunterricht – voll sind, so kommen sie in eine Mappe, die dem Kind selbst gehört. Sie bildet den Schatz des eigenen Lernens ab. Im Laufe der Zeit wird die Mappe dicker. Geht sie verloren? Schade, dann muss man wieder bei Null anfangen. Passiert aber relativ selten, weil das Kind stolz auf das bisher Erreichte ist. Wie schön wäre es doch, in einer neuen Schule zuerst mal zu zeigen, was man alles schon gelernt hat? Und dann zu fragen: „He, Schule, was kannst Du mir zum Weiterlernen Gutes anbieten?“

Das Arbeiten mit solchen Lernlandkarten ist eine wunderbare Strategie. Jedes Kind hat seine eigene Karte. Dort steht, was man schon kann, und – vielleicht – was man sich als nächstes für Ziele gesetzt hat. Ein paar neue Ich-Kann-Sätze, etwas Kleber und drei farbige Stifte – mehr müsste eine Schule einem Saisonarbeiter-Kind, das dort plötzlich aufschlägt, gar nicht bieten.

Die Vorteile des Arbeitens mit Lernlandkarten als vom Kind selbst geführte Lern-Dokumentation gilt nicht nur für Lernende, die den Lernort regelmäßig wechseln. Auch wenn ein Kind vom 1. bis zum 4. Schuljahr oder sogar von Kasse 5 bis Klasse 13 in derselben Schule lernt, hat dieses Arbeitsmittel große Vorteile beim selbst-verantworteten Lernen. Es wäre doch diskriminierend, wenn nur Saisonarbeiter-Kinder Lernlandkarten nutzen würden. Diese Chance sollten alle Kinder erhalten! 

Hier kommen die Akteure in den Bildungsadministrationen ins Spiel: Bitte verbreiten Sie die Lernlandkarten-Idee, so dass alle Schulen dieses Mittel kennen und schätzen lernen! Sie haben dazu die Möglichkeiten! Gewinnen würden alle, die Kinder von Saison-Arbeitern und alle anderen genauso!  

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