Pädagogik der Gegenwart in Bus&Bahn
Die Beratungstätigkeit ist für uns Mitglieder des IfpB natürlich nur eine von vielen Elementen unseres Lebens. Wir machen Beobachtungen in der Gegenwart, besuchen zum Beispiel Blumengeschäfte (26.2.2021, Homeschooling bei der Blumenfee), engagieren uns in der Zivilgesellschaft – etwas Pädagogik ist dabei immer im Spiel – unvermeidlich und offenbar eine Frage des Blickwinkels. Beispielsweise bei der Teilnahme eines Mitglieds unserer Beratenden-Gruppe am digitalen ÖffiCON-Kongress „Nahverkehr neu denken“ am vergangenen Wochenende.
Bus & Bahn – was haben die mit Pädagogik zu tun? Mit Gegenwart – o.k., das sicherlich. Die Verkehrswende hin zum Umweltverbund, die Stärkung des öffentlichen Personen-Nahverkehrs ist zweifelsohne eines der wichtigen Transformationsvorhaben zum Klimawandel. Der Sektor Verkehr/Mobilität zeigt bisher wenig Neigung, zum zwingenden Rückgang fossilen CO2-Ausstoßes beizutragen.
Im Moment steht allerdings der Zwang zum Distanzhalten, den die Corona-Krise den Menschen auferlegt, in direktem Gegensatz zu der Absicht, Menschen zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu bewegen. Allein unterwegs, im privaten PKW, sitzt man besser geschützt vor dem Virus als in der Straßenbahn, die Fahrgastzelle des Autos ist so die mobile Fortsetzung des Lockdowns in der eigenen Wohnung.
Aber nun mal grundsätzlich und in die Zukunft (und die nicht nur jenseits der Corona-Beschränkungen) gedacht: Beim digitalen ÖffiCON-Kongress trifft sich die tradierte Gewichtigkeit bedeutender Verkehrsbetriebe der Republik mit den von der Friday-for-future-Bewegung angefixten Akteuren des gesellschaftlichen Wandels. Das sind ja zwei durchaus unterschiedliche Welten, aber in einem erstaunlich fruchtbaren Austausch. Nach jahrelangem verhaltenen Wachstum brechen unter dem Eindruck von Corona die Nutzerzahlen in Bus und Bahn rapide ein. Droht hier der Roll-Back in die Autogesellschaft? Es geht darum, für die Zukunft entwicklungsfördernde Umstände zu stiften – eine Herausforderung für Menschen mit pädagogischem Blickwinkel!
Lassen Sie uns dazu ein paar Gedanken entwickeln:
- Das Wesen des öffentlichen Verkehrsmittels ist die Öffentlichkeit, logisch! ÖPNV-Unternehmen gestalten also einen nicht unwichtigen Teil des gesellschaftlichen Raums in Städten und Gemeinden. Die Teilhabe an Öffentlichkeit ist ein menschliches Grundbedürfnis – Basis unserer partizipativ-demokratischen Gesellschaft. Das ist ein Megatrend – der Sektor des öffentlichen Lebens wächst, also haben wir eigentlich die idealen Voraussetzungen für die Betreiber öffentlicher Mobilität.
- Doch ein weiterer Megatrend ist, dass Menschen sich als aktive, selbstbestimmte und vor allem individuelle Wesen verstehen. Es ist unbeliebt, sich den Strukturzwängen der Systembetreiber des Linienverkehrs zu sehr anzupassen. Allerdings: 10 Minuten auf den nächsten Bus oder die nächste Bahn zu warten ist dann in Ordnung, wenn das Fahrzeug, das dann anrollt, komfortabel gestaltet ist und einen dem gewünschten Ziel zügig näher bringt. Vielerorts sind die Verkehrsströme aber zu dünn, um einen Taktverkehr anzubieten zu können, dem sich Autonomie wünschende Menschen anpassen mögen. Also müssen sich eben die öffentlichen Verkehrsmittel den Bedürfnissen der Menschen anpassen. Innovative Möglichkeiten gibt es im Zeitalter zunehmender Digitalisierung zuhauf. Die Herausforderung für Verkehrsbetriebe ist es, diese zu erschließen. Der eine oder andere Betrieb denkt allerdings immer noch in Beförderungsfällen und ist damit Lichtjahre von guten Lösungen des Problems entfernt.
- Überdies ist ein Kernproblem, dass der öffentliche Raum für Menschen gleichzeitig attraktiv und fremd ist. Vielleicht liegt ein Stück des Reizes für viele Personen sogar in der Widersprüchlichkeit dieser beiden Eigenschaften. Dort erlebt man Andere – das bereichert – und wird von Anderen abhängig – das schränkt ein. Sich im öffentlichen Raum souverän und nach den eigenen Bedürfnissen zu bewegen erfordert Sozialkompetenz. Wer sich das nicht zutraut, bleibt lieber alleine, auch wenn er sich eigentlich Teilhabe am öffentlichen Leben wünscht.
Solche Menschen fahren weiter Auto, obwohl ihnen ihre Vernunft und ihr soziales Gewissen sagen, dass die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel die bessere Alternative ist. Es ist also nicht immer nur Bequemlichkeit, die Autofahrer zögern lässt, aus ihrem eigenen vierrädrigen Käfig auszusteigen. Es ist die Sorge, im öffentlichen Raum Autonomie einzubüßen.
Und jetzt mal mit pädagogischem Blick gesehen: Die eigentliche Leistung öffentlicher Verkehrsmittel ist also die Gestaltung allgemein zugänglicher Räume, in denen Menschen gemeinsam unterwegs sind. Stadtwerke und Verkehrsbetriebe moderieren die Begegnung von Menschen, die sich nicht persönlich kennen. Bus- und Straßenbahnfahrerinnen, Kundenbetreuer und Ticket-Verkaufende sind Gastgeber*innen im öffentlichen Raum. Ihre Rolle ist es, so zu moderieren, dass nicht die Fremdheit, sondern die Teilhabe zum vorherrschenden Empfinden der Fahrgäste wird. Technologie wird die Gastgeber*innen mehr und mehr von ihren technischen Funktionen entbinden. Wenn Verkehrsbetriebe zukunftsorientiert denken, so bauen sie nicht Personal ab, sondern qualifizieren ihre Mitarbeitenden für diese neue Aufgabe.
Das gilt nicht nur für große, sondern auch für kleine Transportgefäße. Digital organisierte bedarfsgesteuerte Kleinbusse, 9 Fahrgastplätze und eine Profi-Begleitung (das Fahren besorgt auf Dauer die Automatik) erschließen den letzten Winkel der Republik und verknüpfen an angenehm gestalteten Mobilstationen mit einem ÖV-Netz, das überall hin bringt. Zwar nicht mit kürzest möglicher Fahrzeit, aber mit höchstmöglichem Reisekomfort. Dafür, dass es zivilisiert zugeht, sorgen die gastgebenden Mobilitäts-Moderator*innen.
Wäre das nicht ein Beitrag zur Pädagogik der Gegenwart? Was denken Sie?