29 Dez

Mein Corona-Jahr 2020

Viel Enttäuschendes hat unser Schulentwicklungsberater 2020 erlebt, aber auch ungeheuer aus den besonderen Gegebenheiten gelernt. Am Ende ist er sogar euphorisch und verspricht, uns alle in ein neues Jahr 2021 zu begleiten, in dem es ganz besonders erfreuliche Entwicklungen im Bildungsbereich geben kann.

Alles war anders in diesem Jahr. Wie wohl das neue wird?
Wir wünschen Ihnen viele pädagogische und unpädagogische Glücksmomente!

Ein Ausnahmejahr neigt sich dem Ende zu. Zwischen den Jahren ist – auch bei uns im IfpB – Luft nachzudenken: Was ist anders geworden?

Ich habe unendlich viel Neues gelernt in diesem merkwürdigen Pandemie-Jahr. Den Prozess des Lernens mit allen seinen Irrungen, Wendungen und Wirrungen habe ich seit vielen Jahren nicht mehr so intensiv erlebt.

Transformatives Handeln in Schule und Bildungseinrichtungen voranzubringen, geleitet von einer ökologischen und sozialen Vision von einem langfristig, nachhaltig ausgelegten menschlichen Lebens für alle. Die Virus-Krise des Jahres 2020 komprimiert die Halbwertszeit der Auswirkung von getroffenen Maßnahmen von Jahren (Klimakrise) auf Wochen (Pandemie). Das ist eine unvorhergesehene Lernchance! Vielleicht werden wir in einigen Jahren sagen: „Was für ein Glück, dass dieser aus China kommende neue Virus die Menschen gelehrt hat, gegenwärtiges Handeln nicht aus der Fortschreibung vergangenen Handelns, sondern aus der Antizipation der Wirkung des gegenwärtigen Handelns in der Zukunft zu steuern!“ Dann wäre 2020 ja ein Glücksjahr gewesen!

Erlebt habe ich das Jahr allerdings nicht so. Besser gesagt, nicht nur so. Jetzt, am Ende, fühle ich mich durch die vielen Lernprozesse sehr gestärkt, an denen ich teilhaben durfte. Doch zuerst einmal habe ich, als seit Januar die Gefahren der Pandemie mehr und mehr sichtbar wurden, schmerzlich wahrnehmen müssen, dass sich viele pädagogische Gewissheiten, die ich schon als Stand der Technik aufgefasst hatte, in beängstigender Weise verflüchtigten.

Dramatisch war für mich das Erleben des wenig wertschätzenden Umgangs vieler Schulen mit den sozialen Struktur der Lerngruppe. Als Reformpädagoge halte ich den sozialen Bezug der Lernenden in der Lerngruppe für die entscheidende Triebkraft für gelingendes Lernen und Sich-Bilden. Inklusion! Jedes lernende Subjekt braucht einen guten Zugang zur Ressource Lerngruppe, damit individuelles Lernen im sozialen Kontext gelingt. Schüler*innen lernen ja nicht von der Lehrperson. Sie lernen durch eigentätiges Handeln in einer durch die Lehrperson sorgsam gestalteten reichen Lernumgebung. Hauptaufgabe der Lehrperson ist, für eine aktive Teilhabe aller Mitglieder der Lerngruppe in diesem sozialen Prozess zu sorgen. Eine Lerngruppe ist eine dauerhafte raum-zeitliche Struktur. Sie existiert nicht nur, wenn Klasse 7b mit ihrem Mathelehrer dienstags in der 2. Stunde gemeinsam im Klassenraum hockt. Sie besteht in den Köpfen der Beteiligten auch fort, wenn Lockdown-bedingt die Gruppenmitglieder zu Hause in der Distanz-Situation sitzen. Also müssen Lehrkräfte und Schulen alles tun, was sie können, um den Peergroup-Zusammenhalt auch in der Distanzsituation zu sichern. Das gemeinsame Lernen der Lerngruppen darf nicht zum Stillstand kommen, auch wenn man nicht physisch im selben Raum sitzt! Ist doch klar, oder?

Ernüchtert wurde mir im Frühjahr bewusst, dass selbst Topschulen unseres Landes über dieses Wissen und dessen Umsetzung noch nicht verfügen. Stundenpläne wurde aufgelöst, also das zeitliche Integrationsmittel gekippt, das den Verlust an räumlicher Bindung hätte kompensieren können. Schließlich leben wir seit 100 Jahren in einer Welt voller Werkzeuge für Kommunikation auf Distanz, und das zunehmend mehr. Erschütternd war für mich, dass Lehrkräfte das nicht wussten. Das auf eine Fehlinterpretation der Nutzung fußende Handyverbot der Regelschule hat wohl dazu geführt, dass Handys als Mittel des Schülerlernens in Lehrerköpfen nicht gelistet waren. Das ist ungefähr so, als würde man den Kugelschreiber verbieten, weil schon oft Unsinn mit ihm geschrieben wurde. In welcher Welt leben solche Lehrpersonen? Im Jahr 1920?

Der Stillstand des sozialen Lebens der Lerngruppen betraf die Schüler*innen sogar weniger als die Lehrpersonen selbst. Und: Da, wo Kids und Kolleg*innen das Problem rasch gemeinsam aufgriffen und einer Lösung zuführten, wurde nach wenigen Wochen harten Lockdowns wieder erfolgreich gelernt. Es zeigt sich sogar ein spannender Nebeneffekt: Die Schüler*innen, die sich im Unterricht in der Klasse aus- oder gar nicht erst einloggen, sind nicht immer dieselben Kids, die sich im Distanzunterricht aus der Lerngruppenkommunikation fernhalten. Dieses Effekt sollten wir 2021 genauer untersuchen!

Schlimmer war für mich, dass auch alle innerschulischen Entwicklungsvorhaben auf Null rutschten. „Die Steuergruppe kann sich nicht live treffen, also kann sie nicht arbeiten!“, war die Mega-Ausrede aus vielen Schulen, mit denen ich arbeite. Obwohl gerade ein besonderer Anpassungszwang an neue Bedingungen herrscht, kann das Mittel, mit dem man kooperativ Anpassung an neue Bedingungen lernt, nicht eingesetzt werden? Das darf doch wohl nicht wahr sein! Frust, Frust, Frust.

Ich gehörte im März wohl auch zu den Lehrpersonen, die im Hinblick auf die Chancen digitaler Kommunikationswerkzeuge im Jahr 1920 standen. Na ja, vielleicht 1940.

Also habe ich mich darangemacht, meine diesbezüglichen Kompetenzen zu entwickeln. Zusammen mit einer wachsenden Gruppe von Kolleg*innen mit demselben Ziel, am 31.12. im Jahre 2020 ankommen zu wollen. Die Erfahrungen, die ich dabei gemacht habe, waren unschätzbar wertvoll. Ich habe sie als geradezu berauschend erlebt. Noch ein Jahr weiter in diesem Lerntempo und die Transformation der Schule in eine Kompetenz-Bildungs-Schmiede für die Bewältigung der Klimakrise ist bewältigt! Wunderbar, ich bin total euphorisch! Im nächsten Jahr stelle ich mich der Herausforderung, diese Euphorie mit Euch allen zu teilen!

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