11 Aug

Gestohlener Sommer

Der gestohlene Sommer der Autonomie
Nehmt Abschied Brüder ungewiss …Ferien im Corona-Sommer

In einigen Bundesländern beginnt die Schule wieder, andre tauchen gerade in die Kernphase der Sommerferien ein. Auch in Corona-Zeiten kann, wer will, mit dem Fahrrad durch die Republik radeln. Außerhalb der Urlaubs-Hotspots finden sich genügend Pensionen und Herbergen, wo man, nach der Co2-freien Fahrt über Land, bei Maske und Distanzregeln sein müdes Haupt zur Ruhe betten kann. Die Gastwirte freuen sich, wenn Kundschaft kommt.
Vergeblich aber sucht man in diesem Jahr beim Radeln Ferienfreizeiten.

In normalen Jahren trifft man unterwegs an Waldrändern auf Zeltlager in sommerlich brütenden Dörfern auf Jugendgruppen. Viele Lehrer*innen haben bei solchen Veranstaltungen ihr Herz für den pädagogischen Beruf entdeckt. Wer erinnert sich nicht an die wunderbare Stimmung in den Jugendfreizeiten, nachmittags beim Waldlauf und abends am Lagerfeuer vor dem Zelt oder hinter der Halle? Wenn an langen Sommerabenden Dunkelheit, Müdigkeit und zauberhafte Stimmung die Runde überfällt, jemand zur Gitarre greift und die alten Lieder anstimmt – auch heute noch im Zeitalter von mp3-Format der digitalen Musikdatei? „Nehmt Abschied Brüder/Schwertern, ungewiss ist alle Wiederkehr, die Zukunft liegt in Finsternis und macht das Herz uns schwer …“
Ein schönes Lied, gesungen in allen europäischen Sprachen! Für die Jugendlichen, die in Ferienfreizeiten in Leitungsaufgaben hineinwuchsen, war die Zukunft ja nicht finster und die Herzen waren nicht schwer, sondern total lebendig! Raum für Jugend-Autonomie, Gefühl der Freiheit von den Zwängen der Erwachsenenwelt. Endlich einmal selbst gestalten, wie man leben will. Zwar nur auf Zeit, aber mit der Perspektive, dass es morgen, nächstes Jahr und in einer besseren künftigen Welt weitergeht? Als verbindendes Elemente der Gruppe am Feuer? In dieser Hinsicht war und ist der Corona-Sommer leider eine totale Fehlanzeige. Ein Verlust für die Kinder und Jugendlichen, die um ihre Sommerlager-Erfahrungen gebracht worden sind. Genau betrachtet eine pädagogische Katastrophe.
Wo bleibt der Raum für das Autonomieerleben unserer Jugend im Jahre 2020? Distanzregeln für das Beisammensein, Emotionen von Masken verdeckt, soziale Räume durchreglementiert, Vorsicht und Abstand als Lebensinhalt? Das sind doch keine Lebensperspektiven für junge Menschen!
Wenn jetzt die Schule wieder beginnt, so muss nicht nur das Lernen neu erfunden werden: Als Eigentätigkeit, die vom lernenden Subjekt aktiv, sinngeführt und selbstbewusst und in kooperativer Verantwortung mit den Anderen stattfindet kann, gehört sie ins Zentrum der Schulentwicklung. Vor allem anderen geht es um die Achtung und die Stärkung der Autonomie der lernenden Kinder und Jugendlichen. Ich steuere mich selbst – in schwierigen Zeiten – auf dem Weg in eine verheißungsvolle Zukunft, ist die Blaupause, mit der sich Schule nun neu aufstellen muss.
Dass bei einem solchen Lernen Richtlinien und Lehrpläne, die von vernünftigen Erwachsenen geschrieben und verständlich erläutert werden, eine gute Orientierung darstellen, wird kaum ein Lernender bestreiten. Doch die Initiative, die Aktivität, das Sich-Entwickeln-Wollen geht von den Kids aus. Nachdrücklich zeigt das aktuell die Friday-for-Future-Generation: Die Power auf dem Weg in eine nachhaltige, langfristig lebenswerte, gerechte und global vernetzte Welt kommt von denjenigen, denen die Zukunft gehört!
Zum Ausgleich für den gestohlenen Sommer der Autonomie muss nun das Jahrzehnt der gewonnenen Autonomie beim Lernen in unseren Schulen folgen. So wie es schon das Pfadfinderlied, noch nicht gendergerecht, aber trotzdem verlockend verheißt „… schließt den Kreis, das Leben ist ein Spiel, und wer es recht zu spielen weiß, gelangt ans große Ziel.
Das ist unser Auftrag der Pädagogik der Gegenwart – jetzt und heute!

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