26 Jun

Entwicklungsland Deutschland

Schulmädchen (Nepal)

Häme ergießt sich über deutsche Schulen. Die digitale Entwicklung verschlafen? Die Schulen sind im Weltvergleich zurückgeblieben? Peinlich für ein Industrieland? Die Coronakrise zeigt’s?

Tatsächlich ist die Bundesrepublik nicht eben weltweit führend, was die Ausstattung von Schulen mit digitalen Kommunikationswerkzeugen angeht. Das liegt unter anderem daran, dass digitale Arbeitsmittel im Bildungsbereich immer noch als Medien angesehen werden, verstanden als einseitige Kommunikationsmittel,

so wie das Fernsehen: Menschen gestalten für andere Menschen Programme. Die Veranstalter sind aktiv, die Nutzer in der passiven Rolle. Wenn Lernen Entwickeln von Können ist, ist die hier mit Medien assoziierte Konsumentenrolle der Nutzer*innen nicht hilfreich.

Passivität als Medientradition

Die Filme der fwu, die die Lehrergeneration, die demnächst in Pension geht, selbst als Schüler*innen von den damaligen Medienpionieren unter ihren Lehrpersonen in der Schule gezeigt bekamen, waren sicherlich gut gemachte Lehrfilme. Dann kam das Schulfernsehen, das leider immer gerade dann interessante Sendungen brachte, wenn der Stundenplan ein anderes Fach vorsah. Klobige Videorekorder bevölkerten die Schule, als der Verfasser dieses Textes seine Junglehrerzeit absolvierte – ob die Technik klappte, war Glücksache. Das alles waren keine Selbstläufer in der pädagogischen Praxis.

Das Problem ist, dass alle diese Medien Mittel der Vermittlung sind, so wie viele Schulbücher. Aktiv damit arbeiten können Lernende kaum. Medienstunden waren und sind häufig noch immer Konsumstunden – „Sehen wir einen Film?“, die Bitte an die Lehrperson, eine Stunde zum Abhängen zu machen.

Kommunikationswerkzeuge auf Distanz, wie das Telefon, spielten in der Schule dagegen keine Rolle. Handys waren jahrelang verboten – wäre ja noch schöner, wenn die Schüler in der Stunde einfach anderswo in der Welt anrufen, sich selbst andere Informationsquellen als den Lehrervortrag erschießen oder das Treiben in der Schule womöglich filmten und öffentlich machten. Ein Portal die schrillsten Tafelbilder aller Zeiten an deutschen Schulen würde gewiss mit Klagen verbitterter Lehrkräfte überzogen – obwohl es dort sicherlich nicht nur viel zu lachen, sondern auch zu lernen geben würde. Normalerweise ist es unerwünscht, wenn sich die Lernenden in der Schule aktiv digitaler Werkzeuge bedienen!

Die technischen Grundlagen sind eigentlich gut….

Ursache ist aber nicht etwa Technikfeindlichkeit. Deutsche Industrieroboter sind weltweit gefragte Spitzenprodukte. An der international vernetzen, nutzergestützten Open-Source-Software-Entwicklung sind deutsche Kids und Freaks genauso beteiligt wie die aus vielen anderen Ländern. Bei uns ist die Skepsis gegen die Segnungen digitaler Systeme, die auf mentale Fernsteuerung der Nutzer setzen, zum Glück sogar hoch entwickelt – wie die Entstehung der Entwicklungsprozess der Corona-App exemplarisch zeigt. Informationelle und digitale Selbstbestimmung der Bürger*innen ist ein bundesdeutscher Exportschlager. Super – wir sind ein demokratisches Land!

Warum sind dann deutsche Schulen nicht führend darin, digitale Werkzeuge zum Lernen einzusetzen? Das liegt am immer noch herrschenden Grundverständnis, dem die meisten Schulen folgen – und deren Problematik in der Corona-Krise besonders deutlich hervortat.

Lernen, so sagt die Pädagogik, ist Selbstveränderung in der Absicht, künftigen Problemen und Herausforderung besser gewachsen zu sein als bisher. Digitale Mittel können dazu, in der Hand der Lernenden und von diesen in autonomen Aktivitäten benutzt, sehr hilfreiche Mittel sein, um Lernen anzuregen.

Unfug ist es dabei, Lehrpersonen ersetzen zu wollen – womöglich sogar durch KI. Menschen als Lehrpersonen sind wichtig. Das Lernen der Lehrkräfte ist für Schüler*innen ein wunderbares Lernmodell. Der personal-menschliche Bezug ist besonders zwischen den Schüler*innen in den Lerngruppen wichtig, gleiches gilt für den Bezug zwischen Lehrpersonen und Lernenden. Er sollte nicht durch Technik ersetzt werden, technisch sind allenfalls zeitweise die Kommunikationsmittel, die Inhalte der Kommunikation bleiben menschengemacht.

… die pädagogischen Grundlagen oft nicht…

Viele deutsche Schulen sind rückständig, weil die praktizierte Schulpädagogik allzu oft durch lehrerzentrierte Grundmuster bestimmt ist. Die klassische deutsche Schule betreibt Lehre. Sie versteht sich nicht als Einrichtung zur Anbahnung von Lernen. Das ist der Grund, wieso Digitalität nach wie vor als Medienbetrieb aufgefasst wird. Medien sind Lehrmittel. Sie stehen in gewissem Maße in Konkurrenz zur lehrenden Tätigkeit der Lehrkräfte. Daher werden sie von manchen Lehrer*innen als eine Art unnötige Konkurrenz betrachtet, was keine Motivation erzeugt, die Digitalisierung voranzutreiben.

Entwicklungsbedürftig ist das pädagogische Grundverständnis von vielen Schulen in Deutschland, dem die passenden digitalen Werkzeuge folgen sollten, nicht umgekehrt. Schulen dienen der Förderung des Lernens der Schüler*innen. Lernende brauchen Werkzeuge, die sie dabei unterstützten, den aktiven Prozess des Aufbaus von Können so gut wie möglich zu vollziehen. Sie brauchen digitale Mittel, sich als Lerngruppe zusammenzufinden, auch wenn sie nicht im selben Raum sitzen. In ihre Hände gehören digitale Werkzeuge, mit Hilfe derer sie Informationen erschließen und Probleme bearbeiten können. Es geht nicht um Mittel, mit denen Lehrkräfte Aufgaben an Lernende transportieren.

…aber es gibt gute Perspektiven

Kern der digitalen Entwicklung von Schulen könnte die Werkzeugqualität der zu entwickelnden Arbeitsmittel werden, als Unterstützung für selbstständiges und aktives Lernen der Schüler*innen. Partizipation, Entwicklung individueller Lernwege, kooperatives Arbeiten an herausfordernden Aufgaben stehen dabei im Zentrum der Entwicklung. Wenn Kinder und Jugendliche mit solchen Mitteln besser und erfolgreicher ihr Können entwickeln, dann könnte das sogar ein Exportschlager werden!

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