Brief eines frustrierten Beraters an einen Redakteur
Seit einem Jahr versuchen wir, die Mitarbeitenden des IfpB, eine Botschaft publik zu machen, wie Hybridunterricht erfolgreicher und entspannter ablaufen kann als wir es an vielen Schulen sehen. Manche solcher Botschaften müssen in die breite Öffentlichkeit, damit sie die Menschen erreichen, für die sie wichtig sind, denn wir glauben, dass diese im Wissen der Botschaft andere pädagogische Entscheidungen treffen würden. Das schaffen wir als Beratungsinstitut nicht. Wir brauchen da Verbündete. Einer unserer Mitarbeitenden wendet sich in einem Schreiben an einen Redakteur der ZEIT:
„Lieber Herr Spiewak,
Sie sind mein Lieblingsredakteur der ZEIT, denn Sie haben sich seinerzeit als Lernender mit der Frage auseinander gesetzt, ob Journalisten nicht nur Missstände zur Sprache bringen, sondern auch über konstruktive Wege zur Überwindung von Missständen berichten sollten.
Ja, es ist sicher schwierig, neben aller Kritik auch positive Anregungen in die journalistische Praxis einfließen zu lassen. Ihr öffentliches Bekenntnis diesbezüglich finde ich stark. Aus meinem Pädagogik-Blick ist Ihr Herangehen an die Herausforderung absolut konstruktiv!
Sie gehören zu den wenigen Journalisten der großen Medien, die uns als kleines Institut achtsam wahrnehmen. Wenn wir Sie ansprechen, kommt eine Reaktion, die zeigt, dass Sie unsere Anliegen verstehen und grundsätzlich für wichtig halten. Dafür danke!
Das heißt ja natürlich noch lange nicht, dass unsere Anliegen – als im Maschinenraum pädagogischer Einrichtungen Tätigen – Eingang in die Berichterstattung Ihrer Zeitung finden.
Meist verstehen wir gut, dass das nicht passiert. Es erfordert viele Worte, pädagogische Botschaften zu formulieren und Anregungen für die Gestaltung von Bildungseinrichtungen wie Schulen zu geben. Wir als Beratende arbeiten dialogisch, reden so lange mit den Leuten, bis die Botschaft `rüberkommt. Das geht selten kurz, knapp und prägnant, wie es doch eher Journalistenkunst ist.
Jetzt möchte ich aber doch mal Klartext reden. Es gibt zwei Botschaften, die wir Ihnen seit einem Jahr immer wieder nahezubringen versuchen, ohne dass die ZEIT darüber berichtet. Ich denke, das müsste sie aber als in der Republik im Bereich Kultur, Wissen und Bildung führende allgemeine Wochenzeitung. Es sind die Botschaften:
- Gestaltet den soeben an vielen Schulen neu eroberten virtuellen Lernraum pädagogisch aus!
Das Problem ist doch landauf, landab: In der Distanzzeit hat es oftmals gut geklappt, die Werkzeuge digitaler Kommunikation und digitalen Lernens zu erschließen. Eine mittlere Revolution – sowohl im Hinblick auf das Erschließen digitaler Kanäle der Kommunikation als auch auf deren fruchtbare Nutzung für Lernprozesse in unseren Schulklassen. Traditionell bildet die Peergroup der Schüler*innen zusammen mit ihren Lehrpersonen ein personales Lernsystem. Bisher war das Lernsystem eingebettet in den Raum als dritten Pädagogen – wie das Klassenzimmer strukturiert ist, spiegelt die pädagogische Philosophie der Schule wider. Jetzt kommt ein virtueller Lernraum hinzu. Er hat durchgehend geöffnet. Er erlaubt kooperatives und kollaboratives Lernen der Lerngruppe rund um die Uhr. Das ist genial und chancenreich, bedarf aber der pädagogischen Ausgestaltung! Nicht nur der Klassenraum, sondern auch der virtuelle Lernraum einer Klasse spiegelt die pädagogische Philosophie der Schule wider. Diese Entwicklungsarbeit läuft gerade erst an und wird uns die nächsten Jahre in Atem halten.
2. Denkt gut nach, wie ihr den Wechselunterricht als Mittelding zwischen Präsenz- und Distanzunterricht lernwirksam gestaltet!
Jetzt kommt häufig der Wechselunterricht. In den physischen Lernraum der Klasse passen nur noch halb so viele Schüler*innen, wenn die Distanzregeln greifen. Also lassen viele Schulen die andere Hälfte der Schüler*innen einer Klasse zu Hause. Das ist aber die schlechtest mögliche Lösung des Raumproblems. Wer betreut diese Lerngruppe dann, wenn die im Stundenplan vorgesehene Lehrperson mit der Teilgruppe in der Klasse Präsenzunterricht durchführt? Wenn es in der Schule womöglich nicht mal WLAN gibt? Wie soll die Lehrperson gleichzeitig eine halbe Klasse in Präsenz und eine halbe Klasse auf Distanz beschulen? Das kann nur gelingen, wenn es dafür Technik gibt wie bei internationalen Konferenzen. Welche Schule hat das?
Das vielgepriesene Hybridlernen ist in den meisten Fällen, denen wir unserer Beratungspraxis begegnen, eine Mogelpackung, denn die Begleitung der Kinder, die beim Lernen zu Hause sitzen, findet in der Praxis nicht statt. Ein Grundschulleiter einer Brennpunktschule hat es mir gegenüber so kommentiert „Da müssen sich da mal die Eltern drum kümmern“.
„Nein“, habe ich geantwortet. „Lernbegleitung ist Schulaufgabe, nicht Elternaufgabe. Wir haben Schulpflicht. Sie gewährleistet, dass Lehrpersonen und nicht Eltern Kinder unterrichten. Sie haben das falsche Modell gewählt. Regeln Sie den Wechselunterricht so: An einem Tag kommen die beiden Teilgruppen zum Beispiel der Igel und am nächsten Tag die der Mäuse (die Klassenräume liegen, wo irgend möglich, nebeneinander). Die eine Teilgruppe nutzt den Raum der Igel und eine den Raum der Mäuse. Wenn die Igel in Präsenz sind, bespielt die Lehrperson beide Klassenräume gleichzeitig. Sie stellt sich dabei vor, sie habe heute einen doppelt großen Klassenraum für ihren Unterricht, in dem mittendrin eine Mauer steht. Klar, eine ungewohnte Herausforderung. Doch so fällt es ihr leichter, alle Igel zu betreuen, als wenn die Hälfte der Kinder zu Hause sitzt und sie 50% Digitalunterricht machen soll. Am nächsten Tag sind die Mäuse und deren Lehrerin in den beiden Räumen und die Igel-Kollegin kann sich voll auf Distanzunterricht einstellen.“
Der Schulleiter war erstaunt und böse. „Warum sagt mir das keiner, dass das auch so geht? Über diese Möglichkeit habe ich noch gar nicht nachgedacht. Überlegen, ob das ein guter Weg ist, sollte man doch können!“
Also Herr Spiewak! Der Schulleiter wusste das nicht. Wir als Institut wissen das seit einem Jahr. Dass viele Schulleiter von dieser Lösung nicht wissen – das könnten Sie als Redakteur einer in Deutschland führenden Zeitung ändern!
Mit herzlichen Grüßen aus Münster!
Ihr IfpB-Berater“