23 Mai

Nachgefragt

Schulministerien: Nach welchen Kriterien sollen die Schulen nun handeln?

Wir bitten Sie um Auskunft für unsere Schulen

Betrifft: Anfrage des IfpB an die Ministerien für Schule bzw. die Senatsverwaltungen für Bildung in der Bundesrepublik Deutschland nach den Kriterien für die Bewertung der Modelle von Schulen zur Gestaltung der Verknüpfung von Präsenz- und Distanzlernen.

Bezug: Unsere Blog-Beiträge vom 18.5.2020 Lernen fördern: Schul-Orga für Pädagogen, 9.5.2020 Stunde der Wahrheit und 8.5.2020 Leistungsbewertung beim Home-Schooling.

Sehr geehrte Verantwortliche der Schul-Administrationen der Länder,

gerade läuft weltweit ein pädagogischer Großversuch, den sich wohl niemand gewünscht hat: Wie funktioniert eine inklusive, schülerzentrierte, kooperative und demokratische Schule, wenn die Lernenden 1,50 Meter Abstand halten müssen?

Seit der Schaffung des Modells der Schule des gemeinsamen Lernens in der Sekundarstufe im Jahre 1969 durch KMK-Vereinbarung hat es wohl keine vergleichbare Herausforderung im deutschen Bildungssystem gegeben. Gerade präsentieren die einzelnen Schulen ihre Real-Modelle zum Umgang mit der Herausforderung.

In Kürze tritt der Großversuch der Verknüpfung von Präsenzlernen in der Schule und Home-Schooling in die erste Auswertungsphase ein – wenn die Beteiligten merken, ob und wie die Planungen wirken. Unser Institut für pädagogische Beratung vertritt dabei die Grundsätze pädagogischer Rationalität im Sinne der oben genannten Eckpunkte (schülerzentriert, inklusiv, kooperativ, demokratisch). Klar strukturierte Pädagogik macht sich die Mühe, die Kriterien für die Bewertung schon vor dem Start der Erprobung zu formulieren. Transparentes, Kriterien orientiertes pädagogisches Arbeiten ist das Anliegen unseres Instituts. Eckpunkte haben wir – in Blog-Form und in unserer Beratungsarbeit – schon am 8.5., 9.5. bzw. am 18.5. genannt. Heute fragen wir Sie nach Ihren Kriterien und bitten Sie herzlich um zeitnahe Antwort, denn die Pädagog*innen an vorderster Front müssen jetzt möglichst schnell und strukturiert handeln und fragen uns um Rat.

Ganz knapp zusammengefasst sind aus unserer Sicht die Kriterien folgende und unsere Frage also an Sie: Ist das konform mit den Eckpunkten des Handelns, die Sie Ihren Schulen empfehlen?

  1. Grundsätzlich: Zulässig sind nur Modelle, die die Hygiene-Anforderungen im Raum-Zeit-System der bestehenden Schulen korrekt umsetzen.
  2. Der dann maßgebliche Beurteilungsaspekt ist die optimale Umsetzung des (nach wie vor bestehenden) Auftrags von Schule, die Selbst- und Weltkompetenzen der Lernenden in individuellen und kooperativen Lernprozessen von Lerngruppen (bestehend aus Schüler*innen und Lehrperson/Lehrpersonen, mit zunehmendem Alter stärker fachlich ausgerichtet) gelingend zu entwickeln (KLAFKI).
  3. Der oft konstruierte Gegensatz zwischen sozialem Bezug innerhalb der Lerngruppe und dem fachlichen Lernfortschritt geht, wie es schon die Reformpädagogik lehrt, in die Irre. Tatsächlich zeichnet sich eine gut arbeitende Lerngruppe dadurch aus, dass sie gleichzeitig soziale Geborgenheit und bildungsziel-bezogenen Kompetenzaufbau der Individuen in optimaler Form vermittelt. Das bedeutet unter diesen besonderen Bedingungen, dass es auch besondere Bemühungen zur Stabilisierung der Sozialbeziehungen innerhalb der Lerngruppen geben sollte (einfache Kommunikationswege untereinander, kooperative Lernformen, Feedback nicht nur auf fachlicher Ebene…)
  4. Die zeitlich-räumliche Organisationsstruktur der Arbeit der Lerngruppen (Stundenplan) richtet sich nach dem pädagogischen Auftrag in dienender Form: Der Plan folgt der Pädagogik der Schule und nicht die Pädagogik dem – bisherigen – Plan. Das ist insbesondere eine Herausforderung an einen kreativen Umgang mit den bisherigen Routinen und den digitalisierten Arbeitsmitteln, die Schulen für die innere Orga nutzen.
  5. Die leistungsbezogene Rückmeldung (Leistungsbewertung) als elementare Funktion einer Schule zwischen individueller Förderung und gesellschaftlicher Allokation der Absolventen bekommt eine erweiterte Bedeutung: Sie besteht aus der wechselweisen Rückmeldung der Lernenden an ihre Lehrpersonen zur Qualität des Lehr-Lern-Prozesses und der Lehrpersonen an die Lernenden zur Qualität der individuellen Kompetenzentwicklung. So etwa beschreibt die HATTIE-Studie Leistungsbewertung eindrucksvoll als hochwirksames Element schulischen Lernens.
  6. Das von der Schule umzusetzende Modell beachtet außerdem die Notwendigkeit, dass Lernende und ihre Eltern das Home-Schooling auf die familiären Belange abstimmen müssen. Das betont vor allem die LEOPOLDINA.

Stimmen Sie uns im Wesentlichen zu? Würden Sie die Prioritäten anders setzen? Die Stärke unserer föderalen Demokratie ist ja die Vielfalt, die unser System verkörpert, anders als zentralistische Politik-Systeme. Das zwingt – wie wir gerade jetzt in der Debatte in der Krise erfahren – die Verwaltungen, ihre Kriterien transparent zu machen. Die Schulaufsichten müssen jetzt Farbe bekennen.

Daher würden wir uns freuen, wenn Sie die von uns an Sie herangetragene Bitte erfüllen. Ob Sie sich dabei an unseren Überlegungen orientieren wollen, sei dahingestellt. Doch es wäre schön, wenn es möglichst schnell (es eilt ja wirklich!) aus allen Bildungsministerien/ Senatsverwaltungen für Bildung, dazu klare – wenn auch sicherlich vorläufige – Statements in der Öffentlichkeit gibt – bevor die Debatte über die Beurteilung der von den einzelnen Schulen mit den besten Absichten eingeschlagenen Wege über uns hereinbricht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert