Alpha 1 antwortet nicht…
Vor einer Woche (vgl. 23.5. „Nachgefragt“ und per Mail an die Schulverwaltungen der Länder) hat das IfpB die obersten Schulaufsichten der Länder nach ihren Bewertungskriterien für Modelle der Kombination von Präsenz- und Distanzlernen gefragt. Antworten sind bis heute keine gekommen. Der Leiter des IfpB, Robert, spricht mit Michael, der als Institutsmitglied vor allem Schulen des gemeinsamen Lernens bei der inneren Entwicklung berät.
Robert: Michael, bist Du enttäuscht?
Michael: Du fragst nach meiner Emotion, die die Nullreaktion auslöst. Ich verstehe das, freue mich aber nicht. Ich sehe daran, dass die Behörden gestresst sind.
Robert: Gestresst? Erklär das mal genauer.
Michael: Wir sind ein kleines Institut, also unwichtig. Wir beraten im Moment gerade mal etwa 20 Schulen. Und wir stellen Fragen, die als kritisch aufgefasst werden. Das ist die Verführung groß, nicht zu antworten.
Robert: Weil sich die Behörde festlegen muss?
Michael: Ja. Die Aufsicht der Schulen! Kürzlich schrieb mir ein Dezernent, die Behörde lasse den Schulen größtmögliche Freiheiten. Das ist pure Ideologie. Schulleitungen lachen, wenn sie das hören. Der TÜV der Schulen lässt größtmögliche Freiheit?
Robert: Die Schulen sind gehalten, autonom zu entscheiden und ihren eigenen Weg zu finden!
Michael: Ja, und das ist gut so. Freiheiten sind aber in unserer demokratischen Gesellschaft begrenzt. Lösungen für Probleme, z.B. die des Distanzlernens, müssen den rechtlichen Vorgaben entsprechen. Darüber wacht die Schulaufsicht. Und die Lösungen werden vom Kunden bewertet, vor allem der Elternschaft im Schuleinzugsbereich.
Robert: Und nun mischt sich noch unser kleines Institut ein!
Michael: Ja. Wir vertreten den Standpunkt der partizipativen, inklusiven, vielfaltsgerechten und nachhaltigen Pädagogik als Aufgabe von Bildungseinrichtungen. Wir nehmen die Position der aktuell handelnden Personen ein, die durch ihre bisherigen Erfahrungen geprägt sind und zukunftsorientiert erziehen wollen. Und zwar mit Empathie für alle Menschen, die sich engagieren. Dazu gehören auch die Personen, die in den Schulverwaltungen derzeit mit völlig unvorhergesehenen Problemen ringen.
Robert: Was würdest du denen raten?
Michael: Vergangenen Mittwoch wurde die Jahres-Hauptversammlung der Vossloh-AG im Netz übertragen. Ein sehr spannendes mittelständiges Unternehmen im MDAX. Es spezialisiert sich auf die Entwicklung des Fahrweges von Eisenbahnen. Schienenverkehr ist ein Schlüssel der ökologischen Verkehrswende. Der nachhaltige Betrieb der Streckennetze ist die zentrale Herausforderung aller Eisenbahnen – neben dem Einsatz von Fahrzeugen, die nicht ständig ausfallen. Die Vossloh-AG ist Weltmarktführer in ihrer Branche und will das bleiben. Das interessiert die Aktionäre als Eigentümer des Unternehmens, unter anderen mich. Ich habe 58 Aktien. Also habe ich mir die Hauptversammlung angesehen.
Robert: Was hat das mit den Schulverwaltungen der Länder zu tun?
Michael: Beeindruckt hat mich die professionelle Kommunikation der Geschäftsleitung. Der Vorsitzende des Vorstandes warb dafür, die (im Geschäftsbericht schon vor der Corona-Krise angekündigte) Dividendenzahlung auszusetzen und stattdessen dem Kapital zuzuführen, um liquide zu bleiben. So etwas ist bekanntlich bei Kapitalisten wenig beliebt. In der Aussprache kamen sehr kritische Fragen aus dem Kreis der Aktionäre, vor allem zu den Kriterien der Geschäftsführung bei ihrem Antrag. Der Vorstand antwortete nicht nur sachkundig und engagiert, sondern in sehr wertschätzender Form. Auch in Aktionärskreisen kennt man sich. Der Vorsitzende erklärte zu einer Frage eines Herrn: „Das ist eine sehr gute Frage. Sie zeigt, dass Sie sich schon seit vielen Jahren engagiert mit der Entwicklung der Vossloh-AG beschäftigen. Ich werde Ihnen die Frage auf der Basis unseres Wissensstandes von heute so genau wie möglich zu beantworten versuchen.“ Nach der Aussprache kam die Abstimmung. Der Antrag des Vorstandes wurde mit mehr als 90% der Stimmen befürwortet – auch mit meinen 58 Stimmen, wenige der mehreren Millionen Stimmen aus dem Aktionärskreis.
Robert: Die Vossloh-AG hat wohl ein gutes systemisches Beraterteam.
Michael: Ich würde sagen: Der Vorstand hat das nicht nur, sondern spricht auch mit diesem Team. Sicherlich ist systemische Kompetenz im Vorstand vertreten. CEOs sind kommunikativ fitte Leute. Wer Weltmarktführer werden und bleiben will, zeigt Profil und überzeugt durch Kompetenz. Und geht achtsam gerade mit kritisch wirkenden Fragen um. Das beeindruckt mich gerade bei einem Unternehmen, dem die Corona-Krise im Grunde genommen kaum etwas ausmacht. Denn die Optimierung der Schienenwege rechnet sich in Jahrzehnten, ähnlich wie die Wirkung der Bildungspolitik unserer Bildungseinrichtungen.
Robert: Was raten also wir, als IfpB, den obersten Schulaufsichten?
Michael: Weltmarktführer in ihrem Bereich werden wollen! Rahmenbedingungen setzen, innerhalb derer sich die Bildungseinrichtungen, also die Schulen, zukunftsfähig entwickeln. Heute die Bewertungskriterien formulieren, anhand derer Morgen evaluiert werden wird, welche Maßnahmen des Versuch-und-Irrtum als gelungen beurteilt werden.
Robert: Aber auch dabei kann man sich irren, wie die deutsche Atomwirtschaft eindrücklich zeigt.
Michael: Ja, das stimmt. Vossloh hat 5 Jahre daran gearbeitet, die Erkenntnis umzusetzen, dass das Unternehmen als deutscher Mittelständler für den inzwischen auf dem Weltmarkt operierenden Lokomotivbau zu klein ist. Das Unternehmen lernt, deshalb ist es zukunftsfähig.
Robert: Also kann es sein, dass die heute benannten Kriterien in einigen Jahren nicht mehr als das Gelbe vom Ei erscheinen. Damit muss ein Pädagoge leben!
Michael: Wenn es so weit ist, kommt mit Sicherheit jemand, der kundmacht, er habe alles schon viel früher vorausgesehen. Was auch sicherlich der Wahrheit entspricht. Davor könnte sich die Bildungsadministration schützen, wenn sie heute darauf verzichtet, ihre Bewertungskriterien offenzulegen. Sollte sie aber nicht. Ein TÜV, der jedem die größte Freiheit gibt, ist vielleicht beliebt. Aber er verhält sich verantwortungslos.
Robert: Wir vom IfpB stehen auf der Seite der Menschen, die jetzt zukunftsorientiert handeln. Die dabei Verantwortung übernehmen, auch wenn sich das Handeln vielleicht in Zukunft als Irrtum herausstellt.
Michael: Vielleicht äußern sich die obersten Schulaufsichten ja doch noch, es ist ja noch Zeit!