Jetzt kehren die Schulen in Deutschland wieder in den Präsenzunterricht zurück. Die meisten Lerngruppen in unserm Land sind seit Monaten auseinandergerissen – weil ihre Schulen den Wechselunterricht unpädagogisch organisiert haben. Nur wenige Schulleiter*innen ahnen, welche pädagogische Herausforderung auf die Schulen zukommt, dieses Problem zu heilen.
Nun rächt sich, dass sehr viele Schulen während der Lockdown-Periode Raubbau an den Lerngruppen betrieben haben. Große Fehler sind vor allem von den Schulen gemacht worden, die den Wechselunterricht so umgesetzt haben, dass sie die eine Hälfe der Klasse in der Schule beschult und die andere Hälfte zuhause geparkt haben. Damit haben sie die Lerngruppen ohne Not zerrissen. Da fast nirgendwo die technischen Voraussetzungen für einen guten Hybridunterricht gegeben sind, ist in dieser Konstellation für die Lernenden kaum eine Gelegenheit gewesen, ihre Klasse als ‚Klasse‘ zu erleben. Kooperative Lernformen lassen sich in physischer Präsenz oder bei vollem Digitalunterricht gut gestalten – sobald Lehrkräfte gelernt haben, wie sie das umsetzen, klappt das erfreulich gut. Aber wenn die eine Hälfte zu Hause ist und die andere in der Schule, so besteht so gut wie keine Chance für solche Lernformen.
Daher berichten die Schulen, mit denen das IfpB in Kontakt steht, unisono (soweit sie nicht auf unsere guten Ratschläge gehört haben – wir haben schon letztes Jahr im Mai dazu aufgerufen, den Wechselunterricht so umzusetzen, dass die Lerngruppen nicht kannibalisiert werden): Der Wechselunterricht ist zur pädagogischen Katastrophe geworden. Beim reinen Distanzlernen war es nach einer Anlaufphase noch gelungen, zunehmend alle Schüler*innen einer Klasse in das digitale Lernen zu verwickeln. Beim dann folgenden Wechselunterricht mit Lerngruppen, bei der ein Teil der Kinder bzw. Jugendlichen zu Hause und der andere Teil in der Schule saßen, sind die erfreulichen Ansätze wieder verschüttet worden. Kein Wunder: Wie soll eine Lehrperson gleichzeitig eine halbe Klasse in Präsenz und die andere Hälfte auf Distanz beschulen – mit dem vorhandenen, aber immer noch recht bescheidenden digitalen Equipment?
Jetzt kommen alle Schülerinnen und Schüler einer Klasse wieder zusammen und drängen sich, wie früher, auf engem Raum zusammen. Nach 15 Monaten Lernen auf Distanz ist das eine Mega-Herausforderung. Vor diesen stehen unsere Schulen am heutigen Tage!
Was tun? Erst mal: Begreifen: Die Wiederstiftung der sozialen Kultur in den Klassen ist die wichtigste Aufgabe! In den Restwochen vor den Ferien geht es nicht darum, nicht erreichte Kompetenzziele doch noch im letzten Anlauf zu nehmen! Nein: Die Wieder-Stiftung der Lerngruppe als Lerngruppe hat erste Priorität!
Wie konnte es nur kommen, dass die meisten Schulen unseres Landes so achtlos mit der Lerngruppe umgegangen sind? Haben Schulleitungen und Kollegien immer noch nicht begriffen, dass Lernen individuelle Eigentätigkeit der Schülerinnen und Schüler ist, bei der sie als Erstes und Wichtigstes guter sozialer Kontakte Ihrer Peers bedürfen? Sicher ist die Lehrperson wichtig, daher investiert der Staat nicht nur viel Geld dafür, die Lernenden in Lerngruppen zusammenzuführen, sondern auch, Lerngruppen mit kompetenter Betreuung durch Lehrkräfte auszustatten. Lehrkräfte bringen aber, entgegen landläufiger Meinung, den Kindern ‚nichts bei‘. Sondern sie stiften Lernprozesse in Lerngruppen – dabei haben sie unterschiedliche Funktionen, die sie, wenn sie kompetent sind, behutsam und bedarfsgerecht in ihre Lerngruppen einbringen.
Was tun? Jetzt erst mal, in den letzten Wochen, voll Aufmerksamkeit auf die Wiederanbahnung des sozialen Lebens der Klassen richten! Viele Kinder kommen aus schlimmer Isolation und mit vielen niederdrückenden Erlebnissen von Einsamkeit und Angst zurück in die Schule. Das ist die Baustelle.
Und – wenn Ihre Schule zu den Schulen gehört, die den Wechselunterricht in pädagogisch ruinöser Form umgesetzt haben: Betreiben Sie im kommenden Schuljahr Unterrichtsentwicklung an ihrer Schule! So dass Ihr Kollegium das kleine Einmaleins des Peer-Group-Learning verinnerlicht!