Thema Nachhaltigkeit: heterogen
26. UN-Klimakonferenz & MINT – Blicke auf unsere Zukunft
In den beiden letzten Wochen tagten nicht nur Verantwortliche der Länder der Welt in Glasgow – zur Vereinbarung gemeinsamer Ziele im Kampf gegen die Klimakrise. Es fand auch die zweite Runde der Workshops zur Unterrichtseitwicklung nach dem Erweiterten Mint-Konzept an einer westdeutschen Gesamtschule statt – Arbeit am Ziel der Schule, die Nachhaltigkeitskompetenzen aller Lernenden zukunftsorientiert zu entwickeln. Was hat das Erweiterte MINT-Konzept mit dem Ringen um die Bewältigung der Klimakrise zu tun?
In der Abschlusserklärung der Welt-Klima-Konferenz wurde das Ziel des Ausstiegs aus der Kohle als Energieträger in letzter Minute verwässert. Statt phase out für Kohle und Kohle-Subventionen steht dort nun phase down . Aus Sicht der Pädagogik ist die Differenz nicht so gravierend:
In beiden Fällen verpflichtet sich die Welt, Formen der gesellschaftlichen Existenz zu entwickeln, die ohne kohlebasierte Energiegewinnung unter CO2-Freisetzung auskommt. Ob weniger oder gar keine Freisetzung – Ausstieg-Lernen ist für die ganze Welt nun das angesagte Ziel.
Kritiker fordern statt Zielen Handlungspläne, denn das Verkünden von Zielen bedeutet ja noch lange kein Erreichen. Handlungspläne allerdings sind auch keine Garantie für Handeln – wie die geringen Wirkungen der Klimakonferenz von Kopenhagen zeigt: Nur wer vorhat, Ziele umzusetzen, wird handeln. In heterogenen Systemen erfolgt Handeln natürlich in unterschiedlichen Formen, aber durch die gemeinsamen Ziele verbinden sich die heterogenen Systeme zu Lern-Gemeinschaften! Dort ist es legitim, im Einzelfall zu fragen, ob das Handeln mit den Zielen verträglich ist. Verständigung auf Ziele bedeutet somit Verständigung auf die Kriterien zur Beurteilung des Handelns. Daher sind gemeinsame Ziele Voraussetzung für individuelles Handeln im sozialen Bezug.
Auch in der Gesamtschule, von der hier berichtet wird, leiten gemeinsam erarbeitete Ziele das Handeln. Inzwischen, im dritten Prozessjahr, beteiligen sich die Jahrgänge 5, 6 und 7. Viermal im Schuljahr steht den Jahrgang-Fachteams Naturwissenschaften, Gesellschaftswissenschaften, Mathe, Deutsch und Englisch ein 3-Stunden-Slot Unterrichtszeit zur gemeinsamen Unterrichtsplanung zur Verfügung – die Lehrkräfte des Jahrgangs werden per Vertretungsplan freigestellt und treffen sich in der Schule. Digital – das klappt ja nun – erhalten die Fachteams externe Beratung und Begleitung. Die Lehrkräfte können alle ihre Fragen, von der Kompetenzorientierung über die Gestaltung der Lernwerkstätten, die Rolle der Lehrpersonen im selbstgesteuerten und kooperativen Lernen bis zur Frage des Lernfeedbacks sowie unterrichtlicher Probleme bei der Umsetzung mit der Expertenperson erörtern, sobald sie auftreten. Diese Beratungs-Ressource erleben sie als produktiv, hilfreich und unterstützend.
In einem der Jahrgänge wird der Wunsch an die Beraterperson herangetragen, das Erweiterte MINT-Konzept der Schule zu erläutern. Das Konzept ist ja die gemeinsam erarbeitete Antwort auf den Wunsch der Schule, den Lernenden zukunftsgemäße Bildung im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich zu vermitteln.
Das Konzept meint: Die Schule richtet Unterricht und gemeinsames Lernen auf den Erwerb der Kompetenz aus, alle Fragen der Lebensgestaltung in der existierenden Lebenswelt sowohl individuell als auch gesellschaftlich im Sinne des nachhaltigen Umgangs mit den natürlichen Ressourcen gestalten zu können. Im engeren Sinne bedeutet das zunächst, dass die Lernenden zum Subjekt naturwissenschaftlicher Untersuchungsprozesse werden. Physik, Chemie, Biologie lernt man nicht durch Belehrung über die „objektiven‘“ naturwissenschaftlichen Zusammenhänge, sondern durch die Entwicklung der Fähigkeit, fragengestützt der natürlichen und sozialen Lebensumwelt (die stehen im Wechselverhältnis, weil die Menschheit auf die Umwelt und die Umwelt auf die Menschheit Wirkung ausübt) deren Regeln und Gesetzmäßigkeiten zu entlocken und, auf fundierte Kenntnisse gestützt, Handlungsmuster bzw. künftiges Handeln-Können zu bestimmen.
Am Anfang des Erkenntnisprozesses stehen die Erkenntnis- und Könnensziele des Forschens. Aus denen heraus entwickeln Lernende Verfahren, Gesetzmäßigkeiten zu beobachten, zu systematisieren, zu prüfen und zu verifizieren. Mit jeder neuen Erkenntnis erwächst die Bereitschaft, mit dem generierten Können im Sinne der Stärkung der Nachhaltigkeit verantwortlich umzugehen. Also stellen sich Anforderungen didaktisch-methodischer Art für die Gestaltung passender Lernräume und -möglichkeiten.
So ein naturwissenschaftliches Lernen überschreitet die Grenzen der klassischen naturwissenschaftlichen Fächer (MINT=Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik umfasst das Grundkonzept). Mathematik gehört per se dazu. Mathe liefert die universelle (und internationale!) Sprache der Artikulation naturwissenschaftlicher Erkenntnisprozesse. Mathe stiftet einen globalen Lernraum, der sogar die sehr heterogenen Gesellschaften der UN-Klimakonferenz eint. Kommen wir zum Erweiterten MINT-Konzept: Wieso Deutsch? In der Muttersprache vollzieht sich das gemeinsame Lernen. In ihr drücken sich Fragen, Wissen, Könnensregeln und Urteile aus. Wer naturwissenschaftlich arbeitet, benötigt vielfältige sprachliche Kompetenzen, die der Deutschunterricht vermittelt. Und Englisch? Englisch ist in unseren Breiten die kulturübergreifende Kommunikationssprache – die Fremdsprache zählt ebenfalls zum Erweiterten MINT-Konzept.
Das eigentliche Wunder an der Klimakonferenz von Glasgow ist, dass sich die Menschheit überhaupt auf einen weltweiten Verständigungsprozess über die Ziele der globalen Entwicklung am Beispiel der Klimakrise einlässt. Die Hoffnung ist groß, dass wir am Kipppunkt stehen, an dem die weltweite Verständigung über Ziele weitgehend abgeschlossen ist und nun die weltweite handelnde Umsetzung der Ziele in den jeweiligen heterogenen Teilsystemen der Welt Dynamik entfacht. Hoffentlich erreicht die Menschheit die Kipppunkte hin zu nachhaltigem Handeln, bevor der Golfstrom seinen Kipppunkt erreicht! Dazu trägt auch bei, dass die Lehrkräfte der Gesamtschule das Erweiterte Mint-Konzept umsetzen.
Die Transformationen – sie finden jetzt statt – in Echtzeit, in der Gegenwart!