27 Jun

Soziale Gerechtigkeit im Lockdown –

Keine Glückssache, sondern hat Methode…

Eine Herausforderung für Schulen, ihr Lernverständnis zu überprüfen und zu transformieren.

In der Samstagsausgabe (26./27.6.21) veröffentlicht die taz ein Interview mit dem Andreas Frey, Professor für pädagogische Psychologie in Frankfurt und Oslo. Herr Frey erklärt die Ungerechtigkeiten, die durch Lockdown und Homeschooling entstanden sind. Wir halten seine Einschätzung für sehr hilfreich in der aktuellen Debatte.

Er verweist berechtigt darauf, dass die medial gehypte Benachteiligung ohnehin weniger privilegierter Schüler*innen letztlich eine Aussage über die Gesamtheit der Betroffenen ist – eine Art Durchschnittswert. Damit zentriert er auf die Kernbefunde, die aus Sicht unseres Instituts für die künftige Praxis bedeutsam sind:

Die überwiegende Zahl unserer Schulen hat den Lockdown so umgesetzt, dass die ihnen anvertrauten Kinder weniger gut lernen konnten als in der Schule. Es gibt aber auch Schulen, bei denen dieser Effekt nicht eingetreten ist, ja sogar Beispiele, wo das Lernen unter Distanzbedingungen besser geklappt hat als im Schulhaus.


Ergo: Dass Kinder zuhause, unter Lockdown-Bedingungen, schlechter lernen als in der Schule, ist kein Naturgesetz – sonst wäre das überall so. Es ist die Folge davon, wie die Schulen vor dem Lockdown mit ihren Schüler*innen gearbeitet haben. Dort, wo Schulen ihre Lernenden befähigen, überall und jederzeit selbstgesteuert in Lernprozesse einzutreten, ist ein Lockdown kein Grund dafür, dass das Lernen zum Stillstand kommt. Es liegt daran, wie Schulen ihrem Klientel Lern-Kompetenz vermittelt, ob sie auch lernen können, wenn sie auf sich selbst gestellt sind – so wie zu Hause.

Aus Sicht unseres Instituts – wir sind eine Beratungseinrichtung, aber kein Forschungsinstitut, verfügen daher über Erfahrungswissen, aber keine evidenzbasierten Erkenntnisse – sind gerade die Kinder und Jugendlichen aus Halbtagsschulen im Lockdown schlecht weggekommen. Wenn das empirisch nachgewiesen würde, so wäre das eine bemerkenswerte Erkenntnis.

Denn: Halbtagsschulen arbeiten systematisch mit Hausaufgaben – sie verlegen systematisch Teile des Schüler-Lernprozesses in die häusliche Sphäre. Wenn gerade solche Kinder schlecht klarkommen, wenn sie dort längerfristig selbstständig arbeiten sollen, so lässt es berechtigte Zweifel zu, ob diese Schulen zukunftsfähige Lernkompetenzen vermitteln. Das Leitziel der Schulen sollten selbstständige Lernende sein- die bei Bedarf, überall und aus sich heraus lebenslang die Lernprozesse vollziehen, die ihnen wichtig sind. Offensichtlich erreichen diese Schulen ihr Ziel unzureichend – wenn etwa die Hälfte aller Schüler*innen , bei der Herausforderung, unter Krisenbedingungen mehr als bisher selbstständig zu lernen, in die Knie gehen und in der Versenkung verschwinden.

Woran mag es liegen (sofern sich das empirisch bestätigt, jetzt wäre der Punkt, an dem man das gut untersuchen könnte), dass entwickelte Ganztagsschulen – deren Grundprinzip das Lernen in der Schule als Mittel der Sicherung gesellschaftlicher Gerechtigkeit ist – in der Krise erfolgreicher durchkommen als Schulen, bei denen das Lernen auf Distanz doch sozusagen zur DNA gehört? Wir vermuten, es liegt daran, dass methodische Lernkompetenz an solchen Schulen einen höheren Stellenwert hat. Ganztagsschulen vermitteln nicht nur Wissen, sondern verstärkt transformatives Handeln, also die Fähigkeit, sich das Wissen und Können anzueignen, das man braucht, um Probleme der Welt besser lösen zu können. Allerdings gibt es auch unter Ganztagsschulen solche und sonne – das wie der inneren Arbeit der einzelnen Schule ist daher der entscheidende Faktor.

Dabei ist es weniger wichtig, wo die Lernpersonen sitzen. Wichtig ist, dass die Lernenden als Lerngruppe vernetzt sind. Digitale Strukturen – das lernen wir in der Krise – können dabei enorm hilfreich sein. Wenn Kinder und Jugendliche gelernt haben, selbstständig zu lernen, so schafft gerade diese Zielgruppe es spielend, sich die Digitalwelt als Lernwelt zu erschließen.

Jetzt, noch vor der gefürchteten vierten Welle, ist die historische Periode, in der Schulen sich diese Erkenntnis zu eigen machen können. Daraus folgt spezifisches Handeln. Wir wissen, dass das an vielen Schulen schon angefangen hat – aber noch lange nicht an allen!

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