Promotions-Aberkennungen und Lebenslauf-Fälschungen
Heute denkt unser Schulentwicklungsberater darüber nach, wie undifferenziert Menschen in herausragenden Positionen oftmals abgestraft werden und wie wenig Neigung zu öffentlichem Engagement daraus entstehen könnte. Zudem weckt das sehr persönliche Gedanken bei ihm, über die er ebenso persönlich berichtet.
Frau Baerbocks Lebenslauf-Kritik und Frau Giffays Promotions-Schelte – was sagt die Debatte in der Pädagogik der Gegenwart dazu? Wir alle müssen manchmal Lebensläufe vorlegen, manche von uns haben auch die Hürden einer Promotion überwunden. Welche Wirkung hat die Debatte auf das Vertrauen, das Menschen brauchen, wenn sie gemeinsam aktiv sind?
Unser Schulentwicklungsberater reflektiert diesbezüglich seine eigene Biografie:
„‚Peng, wieder ein Gauleiter tot!‘, kommentierte mein alter Herr (Vater), wenn in der Nachbarschaft vermutet ein Schuss klang. Der Kontext, dem seine Äußerung entsprang, dürfte klar sein: Die Aufarbeitung der Fehler von Funktionsträgern beim Zusammenbruch der NS-Herrschaft mit drastischen Mitteln. Solches Erleben rabiater Lösungen prägt fürs Leben.
Wir leben in anderen Zeiten, zum Glück. Auch sind die Mittel, mit der Probleme erledigt werden, subtiler. Aber das Muster lebt: Einer, der glaubt, ein anderer habe in herausragender Position etwas Unerlaubtes gemacht, versucht diesen anderen zu eliminieren. Statt zu fragen: ‚Wie kommt es zu dem Fehler? Was sind die Hintergründe? Was sind die Motive der Akteure? Wer ist wofür verantwortlich? Was ist eine angemessene Reaktion bei möglichem Fehlverhalten?‘, wird die Person erledigt – statt des sich zeigenden Problems.
Dieses Muster der Verarbeitung schadet uns allen! Wer traut sich da noch, den Kopf hochzuhalten und öffentlich aktiv zu werden? Warum sollte man sich der Gefahr aussetzen, bei nächster Gelegenheit als Person erledigt zu werden? Und die wenigen, die sich noch trauen: Werden sie nicht misstrauisch, erstarren und verlieren ihren Elan beim Handeln? Welche Modellwirkung hat das auf die soziale Interaktion von Menschen, die gemeinsam ihre Welt gestalten wollen?
Ich komme dabei ins Grübeln über meine Lebensläufe und meine Promotion. Bei meinen Lebensläufen, die mich auf dem Pfad zu den Tätigkeiten meiner Wünsche begleiten, denke ich funktional: Was wollen die, die ihn lesen, gerne von mir erfahren? Ich habe nicht gelogen, nicht getäuscht, nicht geschönt, mich nicht größer gemacht als ich bin. Ich zeige mich so, wie ich mich sehe – damit derjenige, der sich für mich entscheidet, auch wirklich für mich entscheidet. Ein Lebenslauf ist gut, wenn er realistische Erwartungen weckt.
Meine Promotion musste ich fertigstellen. Sonst wäre meine Stelle nicht verlängert worden. Ohne diesen Druck hätte ich heute keinen Dr. vor meinem Namen. Denn der Titel bedeutet mir nicht viel – ich nutze ihn im wirklichen Leben nicht. Nur manchmal, denn er zeigt, dass ich dazu fähig bin, unter widrigsten Umständen des Lebens, in denen Doktorand*innen meistens stecken, etwas durchzuziehen: Beschriebenes Papier so zwischen Deck- und Rückeinband eines Werkes zu füllen, dass meine Prüfer das als Promotion akzeptieren. Bei meiner Promotionsfeier sagte ein nicht beteiligter Professor der Fakultät zu mir: ‚Nächstes Mal lasse ich eine so fragwürdige Arbeit wie Ihre nicht mehr durchgehen‘. Und ich antwortete: ‚Dann haben Sie ja schon diesmal einen schweren Fehler gemacht.‘
Frau Baerbock wird angegriffen, sie habe mit ihrem Lebenslauf getäuscht. Eine Journalistin unterstellt: ‚Warum wollten Sie sich größer machen als sie sind?‘ Die so gestellte Frage finde ich infam. Sie unterstellt, Frau Baerbock habe dieses Motiv. Eine typische Ich-erledige-Dich-Frage. Korrekt wäre: ‚Aus welchen Motiven haben Sie Ihren Lebenslauf so geschrieben, wie sie ihn geschrieben haben – Sie kennen ja die Kritik?‘ Schön wäre, wenn Frau Baerbock dann gesagt hätte: ‚Ich wollte meinen potenziellen Wählern zeigen, wo und wie ich mein Handwerk gelernt habe.’Ich allerdings hätte an ihrer Stelle gesagt – ich bin ja kein Politiker: ‚Mein Lebenslauf ist an Menschen adressiert, die sich für mein Können interessieren und nicht an Korinthenkacker, die formale Titel nicht von Kompetenzen unterscheiden können.‘
Auch über den Umgang mit Frau Griffey bin ich wütend. Wenn eine vorgelegte Promotion nicht den Anforderungen entspricht, so ist es Aufgabe von Prüfungskommission und Fakultät, bei der Begutachtung Flagge zu zeigen. Legt ein Prüfling ein Plagiat vor und die verantwortliche Hochschul-Lehrkraft merkt das nicht, ist das ein Skandal der Fakultät. Soll doch der verantwortliche Doktorvater zurücktreten! Aber so ist das hier nicht: Hier hat eine Kandidatin eine Arbeit vorgelegt, deren wissenschaftliche Standards rückwirkend angezweifelt werden. Sofern sich das bestätigt – bei Frau Giffey dauerte das Jahre – so ist sicher die Frage an alle Beteiligten zulässig: ‚Wie konnte das seinerzeit passieren?‘ Doch es gilt als unverhältnismäßig, wenn Beteiligte im aktuellen Sozialleben beschämt werden. Aber das Vertrauen in der Gegenwart leidet dabei nicht – im Gegenteil: alle werden schlauer!“
Was lernen wir daraus? Es ist schon korrekt, dass es allgemein anerkannte Standards der Technik gibt, in Politik, Wissenschaft, Gesellschaft. Dabei hat – so ist das eben – jeder erst einmal seine eigene Vorstellung davon im Kopf. Zeigen sich Differenzen zwischen dieser und der der anderen handelnden Akteure, ist es zielführend, nach den Quellen der Differenzen zu fragen.
Gegenwärtige Tendenzen, das Sprechen über Differenzen in der Wahrnehmung zu unterbinden, beschädigt die Vertrauensbildung in der Politik. Ziel der Politik sollte es sein, im pädagogischen Sinne entwicklungsfördernd zu wirken. Schädlich ist da die Überhöhung der Differenz: Die Unterschiedlichkeit zum Persönlichkeitsmerkmal hochzustilisieren, anstatt gemeinsam zu überlegen, wie es kommt, dass der eine die Dinge so und der andere sie anders sieht. Wir brauchen jetzt keine Ausgrenzungen, sondern die integrierende Sichtweise, bei dem sich die Diskutierenden achtsam und auf Augenhöhe begegnen, um (neue) Lösungen zu finden, die in die Zukunft tragen.