Vermasselter Weihnachtsferienstart
Wir bedauern das Versagen der Bildungsminister*innen der Länder
Die letzten Tage vor den Weihnachtsferien, Halbzeit im Schuljahr, sind eine Investition in das soziale Leben der Schulen. Der Ferienstart im Dezember hat für das gemeinsame Leben dort stets eine besondere Bedeutung: Lerngruppen verabschieden sich voneinander, in Vorfreude auf das Fest und den Jahreswechsel, Rituale gemeinsamen Feierns werden geübt, Zuwendung und Gemeinschaftsgefühl finden Raum und Zeit. Können für die Bewältigung der künftigen Herausforderungen des Lebens erschöpft sich nämlich nicht nur im Sprechen fremder Sprachen oder dem rationalen Umgang mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaften. Sie lernen hier Gesellschaft! Eingebunden sein in eine größere Gemeinschaft, jenseits von Familie und Freundesclique. Die schulische Lerngruppe, in die man zufällig hineingerät, wird durch Mitglied-Sein zur sozialen Herausforderung und bestenfalls ein Ort des Aufgehoben-Seins. Auch das ist Lernen fürs Leben.
Diesen Ferienstart hat die Riege der Bildungsminister*innen jetzt gründlich vermasselt. Obwohl die Kanzlerin, politisch nicht zuständig, mit sicherem Gespür der sozialen Notwendigkeiten den richtigen Weg in der Corona-Krise gewiesen hat: Für alle Schüler*innen der Republik sei der letzte gemeinsame Schultag am Mittwoch in der Woche vor dem Fest. Dann folgt eine Quasi-Quarantäne, die jedes Schulkind einhalten darf, um Heiligabend Menschen mit besonderem Risiko vor dem Virus schützen zu können! So könne die Bildungsbürokratie unsere Jugend bei deren Wunsch unterstützen, verantwortlich zu handeln.
Das war doch ein guter Plan! Für die restlichen Tage bietet die Schule Betreuung für die Kinder, bei denen es keine andere Lösung gibt. Wenn es unvermeidlich erscheint, dass noch einzelne Klausuren geschrieben werden, so lässt sich das in den restlichen Tagen in den leeren Schulhäusern hygienesicher und lockdown-gerecht umsetzen – beim Schreiben einer Arbeit ist Distanz ja Prinzip.
In Bundesländern, wo der Virus besonders zuschlägt, ist der letzte Schultag für alle vielleicht schon ein paar Tage früher –aber es gibt ihn für alle, den legendären letzten Schultag vor Weihnachten, an dem sich die Lerngruppe auf sich selbst besinnt!
Wieso hatte die Kultusbürokratie das nicht auf dem Schirm? Abwegig ist die Lösung vieler Bundesländer, die Eltern entscheiden zu lassen – mit der Folge, dass jedes Kind einen anderen letzten Schultag hat. Um die Lerninhalte der verbleibenden Schultage kann es nicht gehen, wenn jeden Tag weniger Kinder in der Schule sitzen. Entweder sind alle zuhause oder alle sind in der Schule – sonst ist es selbst für die engagiertesten Lehrkräfte nicht möglich, vernünftig zu arbeiten. Nicht mehr jedem einzelnen Frohe Weihnachten und guten Rusch und bleib gesund wünschen zu können – das ist megafrustig für jede*n Klassenlehrer*in mit Pädagogenblut in den Adern!
Wir vom IfpB sind Befürworter des Bildungs-Föderalismus. Bildung dezentral zu gestalten ist schlau, denn so haben wir einerseits eine Art Wettbewerb der Erfahrungen, andererseits die Chance auf regional angepasste Lösungen für die Gestaltung schulischen Lernens. Ja – der Bildungsföderalismus nervt schon mal, ist aber dennoch ein schlaues Prinzip.
Wieso also haben an dieser Stelle die Bildungsminister*innen der Länder versagt? Hier zeigt sich ein grundsätzlicher Mangel an einem konstruktiven Verständnis davon, was Bildung eigentlich ist und sein muss. Die emotionalen und affektiven Anteile des Erwerbs von Kompetenzen in dem Sinne, künftig (besser) handlungsfähig zu werden, sind nach wie vor viel zu wenig im Bewusstsein der Gestaltenden verankert. Kompetenz, das Ziel der Bildung, ist die Bereitschaft, an der richtigen Stelle zu erkennen, was getan werden sollte, und dann auch beherzt aktiv zu werden. Das erfordert einerseits Wissen, andererseits aber die Fähigkeit, sich selbst aktiv zu verhalten, also Empowerment. Diese Fähigkeit von Menschen entsteht im sozialen Kontext. Bildungsbürokratie muss noch lernen, mit dem sozialen Kontext gelingenden Lernens wertschätzend umzugehen!
In der Coronakrise hat sich diese Unfähigkeit der Bildungsverwaltungen mehrfach gezeigt – nicht nur am verkorksten Start in die Weihnachtsferien. Im Lockdown und beim Distanzlernen hat die Stärkung der sozialen Bezüge der Lernenden in den ihren Lerngruppen viel zu wenig Aufmerksamkeit erhalten. Statt die schon vorhandene digitale Infrastruktur zu nutzen, um die Kids beim Lernen in ihren Gruppen zu vernetzen, sind viele Schulen, vor allem aber Schulaufsichten, in das alte Muster des lehrerzentrierten Lernens zurückgefallen. Als ob es wichtig ist, den Schüler*innen Aufgaben zu übermitteln – so ein Blödsinn! Wichtig ist, die zu stärken und zu unterstützen, die auch unter schwierigen Aufgaben Lernherausforderungen annehmen! Und diejenigen, die das noch nicht schaffen, anzuregen und zu motivieren, Kontakt mit den Peers aufzunehmen und sich in die Schar der aktiven Lernenden einzugliedern!
Und dann muss man sich auch mal als Lerngruppe ein bisschen feiern! In den Tagen vor den Weihnachtsferien. Diese Möglichkeiten haben die Kultus-Verantwortlichen der Länder den Kindern und Jugendlichen dieses Jahr ohne Not geklaut! Ein verkorkster Ferienstart!