Schlaue Worte aus Düsseldorf
Heute sind wir mal ein bisschen ketzerisch…
„Eine wichtige Erkenntnis aus der Phase der Schulschließung lautet: Je besser Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, ihre Lernprozesse selbst zu steuern, mit anderen … zu kommunizieren und zu kooperieren sowie Lernwege und –produkte kritisch zu reflektieren, desto lernförderlicher kann Distanzunterricht organisiert werden. … Diese Erkenntnisse gelten selbstverständlich nicht nur für den coronabedingten Sonderfall des temporären Distanzunterrichts, sondern ganz allgemein für Lernprozesse.“
Wer schreibt so schlaue Worte? Wer selbstständig sein Lernen steuern kann, der lernt erfolgreicher als derjenige, dem die Schule es abnimmt, den eigenen Lernweg zu bestimmen? Sind da womöglich Sozialrevolutionäre am Werke? Üble pädagogische Avantgardisten,
die den Lehrer*innen die Lieblingstätigkeit wegnehmen wollen, Schüler*innen zu drillen, an der kurzen Leine zu führen und zu überwachen? Wo kommen wir denn hin, wenn eine Schule die Erkenntnis ernst nimmt? Das, was unter den speziellen Bedingungen der Corona-Krise wohl oder übel nicht zu umgehen ist – wenn Lehrperson und belehrte Person nicht im gleichen Raum sitzen – jetzt zur Blaupause für den ganz normalen Schulunterricht machen zu wollen? Dahinter kann doch nur der Plan stecken, Lehrkräfte erst zu entmachten und dann ganz überflüssig zu machen. Was sonst?
Der Täter ist: Das Ministerium für Schule und Bildung des Landes NRW! Wer hätte das gedacht? So bringt es das MSB NRW in seiner „Handreichung zur lernförderlichen Verknüpfung von Präsenz- und Distanzunterricht“ (2020, S. 17) auf den Punkt. Die Ministerin des Landes gehört der FDP an, der Partei, die Liberalität des Denkens für sich reklamiert. Stoff zum Sinnieren!
Es ist also zielführend, wenn sich Kids beim Lernen selbst steuern? Sich selbst steuern kann nur, wer weiß, wohin die Reise gehen soll. Kern eines lernförderlichen Unterrichts ist also die Klarheit der Ziele des Lernens in Form der Kenntnis der angestrebten Kompetenzen. In einem Rahmen des Lernens (reiche Lernumgebung), in dem Ziel- und Prozesstransparenz herrscht, können sich Lernende selbstständig orientieren, auch und gerade, wenn der Lern-Raum angemessen differenziert ist. Selbststeuerung beim Lernen bedeutet dann, dass sich die lernenden Subjekte Aufgaben auswählen, die an die individuelle Lernausgangslage anknüpfen, die zum aktiven Lernen verlocken und die Erfolgserlebnisse im Sinne der Erreichung der Ziele des Lernens verheißen.
Doch, keine Angst! Hier gibt es für Lehrkräfte auch in Zukunft viel zu tun: Kompetente Lernangebote für selbstgesteuertes Lernen zu entwickeln, solches Lernen im Prozess konstruktiv zu begleiten und Lernenden lernfördernde Rückmeldungen zu geben – das wird auch weiterhin eine anspruchsvolle Aufgabe für Profis sein. Die Erklärung der FDP-Ministerin richtet sich nicht gegen die Lehrerschaft also solche, sondern nur gegen die Vertreter*innen der Pädagogen-Zunft, die Selbstständigkeit beim Lernen der Kinder eher behindern als fördern.
So weit so schön. Lob des Fehlers (z.B. R. Kahl) ist in der Pädagogenzunft seit langem state of the art und wird gerne beifällig abgenickt. Warum sich diese Erkenntnis jedoch so zögerlich als Alltagshandeln in den Schulen durchsetzt? Der Bewertungszwang steht dagegen, denn in dergestalt verändertem Unterricht braucht die lernende Person das Recht und den Raum, Fehler zu machen! Lernen durch Versuch und Irrtum bedeutet, dass Irrtum nicht zur Abwertung führen darf, sondern Irrtum ist Voraussetzung für Schlau-Werden. Irrtum muss also bei der Bewertung belohnt werden und nicht bestraft. Dazu gleich ein Vorschlag.
Und jetzt? Hier und heute? In der schulischen Gegenwart hocken Fachkonferenzen vieler Schulen zusammen und rätseln, wie sie das wohl hinbekommen – wenn doch mal wieder Distanzlernen stattfindet. Kann ja passieren, die Einschläge kommen näher! Und dabei die Vorstellungen des Ministeriums lernförderlich umsetzen?
Dazu unser Vorschlag: Es gibt für jedes Kind in jedem Unterricht zwei Zensuren, eine Aktivitätszensur und eine Inhaltszensur. Wer eine Frage stellt, die zum Lernanlass wird, bekommt einen Pluspunkt für die Aktivitätszensur. Wer nachdenkt, aber dabei zu einem irrtümlichen Ergebnis kommt, erhält einen Pluspunkt für die Aktivitätszensur – er muss seine Überlegungen nur seinen Mitlernenden zugänglich machen! Ein Minus bekommt nur, wer sich gar nicht muckt. Ein Fehler ist ein Schritt in die Richtung auf besseres Können. Diese Praxis wird von vielen Unterrichtenden bereits betrieben, aber oft eher verschämt und unglücklich gewendet („Er/sie hat sich doch so viel Mühe gegeben“…“der Weg war doch richtig“). Dabei kommt erst bei offensivem Gebrauch durch die Lehrenden (Ich belohne sachdienliche Fehler!) der motivationale und das selbstbestimmte Lernen fördernde Effekt überhaupt richtig zur Geltung.
Das Faszinierende ist nämlich: Wenn Lernende auf diese Weise in ihrer Aktivität bestärkt werden, so werden sie unterstützt, die Fragen beim Lernen zu stellen, die ihre Fragen sind. Das wirkt sich dann auf die Inhaltszensur aus: Sie wird besser, weil selbstbestimmtes Entdecken erfolgreicher lernen lässt als Belehrung.
Und jetzt? Wenn es wieder so käme? Distanz, Hybrid oder wie auch immer? Tatsächlich, es gibt einen praktischen Vorteil des Distanzlernens beim Messen der Aktivitätszensur. Beim Messenger-Unterricht auf Abstand registriert der Messenger die Aktivität. Dabei können Lehrkräfte lernen, die Aktivität ihrer Schüler*innen zu registrieren. Der Wahrnehmung von Aktivität lassen sie positive Bestärkung folgen. Und das machen sie dann sogar noch weiter, wenn wieder alle in der Schule sind.
Schlaue Worte aus Düsseldorf – aus der Krise lernen!